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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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obersten Kugel in dem Restaurant, nachdem er in einem Fahrstuhl die Verstrebungen senkrecht hinaufgesaust wäre. Es sollte ja weniger als eine Minute dauern, hatte Stefan erzählt, als sie das erste Mal von dem Atomium gehört hatten. Ob ihm schlecht würde?
    Er war so mit den Gedanken beschäftigt, wie es sein würde, dass er beim automatischen Weiterblättern der Zeitung beinahe den kurzen Artikel überlesen hätte, der auf der siebenten Seite ganz unten in der linken Spalte stand. Irgendetwas hatte ihn stutzig gemacht. Er blätterte zurück und ihm sprangen die drei Buchstaben R.v.D. in die Augen. Unter der Überschrift Maler bleibt in U-Haft stand in einem Fünfzeiler, der mehr einer Notiz glich:
    „Der gestern festgenommene Maler R.v.D. muss auf richterlichen Beschluss in Untersuchungshaft bleiben, da nach Auffassung des Richters am Amtsgericht Lübeck Verdunkelungsgefahr besteht. Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Hausmann, konnte das Gericht nicht von der Unschuld seines Mandanten überzeugen, gegen den ein dringender Tatverdacht wegen Unzucht nach § 175 StGB und die Herstellung und Vertreibung pornografischer Bilder besteht.“
    Christian musste den Artikel zweimal lesen, bevor er seinen Inhalt begriff. Dann sprang er von seinem Sitz auf und lief, die Zeitung in den Händen haltend, vom Wohnzimmer in den Flur und wieder zurück. Er las den Artikel wieder und wieder, setzte sich, stand auf und blieb schließlich auf der Sesselkante hocken. Er holte tief Luft und ließ die Zeitung auf die Knie sinken. Ricky im Gefängnis. Wegen des Hundertfünfundsiebzigers und wegen pornografischer Bilder.
    Siedend heiß fiel ihm das Atelier im Deepenmoor ein, wie er vor der Leinwand mit dem Schwimmbad gestanden hatte und zuerst gar nichts erkennen konnte und dann … Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht, dass Ricky Schweinkram malte. Landschaften hatte er zu Helga gesagt, pah, Landschaften, schöne Landschaften werden das gewesen sein! Einen kurzen Moment dachte er erleichtert, dass er nun endgültig Ricky los wäre und es kein überraschendes Treffen mehr gäbe. Das Venezia stünde auch ihm wieder offen, ohne ängstlich die Tür im Auge zu behalten. Der zweite Gedanke war, dass sich vielleicht jetzt wieder eine Möglichkeit erschlösse, sich mit Helga auszusöhnen. Er könnte ihr sagen, er habe von all dem nichts gewusst, und vielleicht könnte er ja ihr gegenüber Kapital aus der Tatsache ziehen, dass er Ricky doch besser gekannt hatte.
    Aber die positive Stimmung verflog schnell, als er an das Ende ihrer Beziehung und die für sie demütigende Situation im Venezia dachte. Stattdessen bemächtigte sich seiner eine Unruhe und er verspürte das dringende Bedürfnis, mit jemandem reden zu müssen. In ihm drängte sich zwanghaft die Vorstellung hoch, dass er endlich seine Schuld und sein schlechtes Gewissen loswerden könnte, dass er reinen Tisch machen müsste, indem er durch die Offenlegung seiner Verstrickung auf Distanz zu Ricky gehen könnte. Er klammerte sich an diesen Gedanken und er merkte nicht einmal, dass er dem uralten Spiel von Sünde und Sühne aufsaß.
    Sollte er zu Stefan gehen? Sein Freund kannte ihn am besten. Würde er ihn aber auch verstehen? Was sollte er ihm sagen? Die Bettgeschichte? Er schüttelte den Kopf. Unmöglich. Nein, er musste mehr erfahren über die Umstände der Verhaftung. Wullenwever kam ihm in den Kopf. Wullenwever war Rickys Freund. Und hatte er ihn nicht damals vor dem Lichtspielhaus Hoffnung eingeladen, ihn einmal in seinem Antiquitätengeschäft zu besuchen? Wer außer Wullenwever konnte ihm sagen, was mir Ricky los war? Er verbiss sich in den Gedanken und schon am nächsten Tag stand er vor dem Antiquitätengeschäft in der Mengstraße.
    Die Ladentür war verschlossen, das Geschäft unbeleuchtet. Christian versuchte, durch die Schaufensterscheibe zu spähen und schattete mit seiner rechten Hand die Augen ab, um einen Blick in das Innere werfen zu können. Im Schaufenster türmte sich altes Geschirr, auf silbernen Tabletts standen unvollständige Sets von Karaffen und Gläsern und in einer Glasvitrine lag silbernes Besteck aneinandergereiht. Puppen mit Porzellanköpfen und spitzenbesetzten Kleidchen lehnten an der Wand, die Augen unverwandt ins Leere fixiert. Teddybären saßen arg zersaust neben Blechpferden, deren Farbe abblätterte. Landschaftsbilder in geschnörkelt vergoldeten Rahmen hingen an der Wand. Das Ganze machte den Eindruck einer zufälligen Anordnung, eher

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