Anderer Welten Kind (German Edition)
wirklich nicht.“
„Nein, es ist wichtig“, wiederholte Ricky.
Helga wusste in diesem Augenblick, dass sie gerade dabei war, sich auf einen Machtkampf mit Ricky einzulassen.
„Wie kannst du es wagen, dich da einzumischen? Lass meinen Freund los!“, stieß sie hervor und dann baute sie sich vor Christian auf und sagte: „Jetzt reicht es. Kommst du nun?“
Christian war wie gelähmt. Er wusste nicht mehr ein noch aus. An den unmittelbaren Nebentischen waren die Gespräche verstummt und die Gäste schauten zu ihnen herüber und ihre Gesichter verrieten ihre Neugierde. Zum Glück kannte Christian niemanden. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, aber in seinem Gehirn türmten sich nur Katastrophen übereinander: Was, wenn Ricky eine eindeutige Bemerkung machte, was, wenn Helga richtig sauer wurde? Er konnte sich nicht entscheiden, alles verschwamm und zugleich schälte sich heraus, dass er aus Angst vor Rickys möglicher Reaktion nicht gehen konnte, die Kraft dazu nicht aufbrachte.
In seinem „Ich komme nach“ schwangen seine Niederlage und seine Resignation mit. Er spürte, wie ausgeliefert er Ricky war. Er konnte Helga nicht anschauen.
„Was?“ Helga schrie beinahe. „Du bleibst? Das glaub ich nicht.“ Sie war fassungslos und an Rickys Blick, der sie jetzt direkt anschaute, erkannte sie, dass sie verloren hatte. Er genoss ihre Niederlage, das konnte sie sehen.
„Wenn du jetzt nicht mitkommst, brauchst du gar nicht zu kommen“, sagte sie. „Also was ist?“
„Ich bleibe noch.“ Christians Stimme glich einem Flüstern, „Können wir nicht …“
Helga schnitt ihm das Wort ab. „Nein.“ Und da bemerkte sie erst, wie sie von allen Seiten angestarrt wurde, und in eine Welle von Scham hinein drehte sie sich abrupt um und stürzte aus dem Lokal.
Christian wollte ihr hinterher, war schon aufgesprungen, als Ricky ihn zurückhielt. „Die beruhigt sich schon wieder“, sagte er. Christian setzte sich.
Dann schwiegen sie. Christian hatte schon wieder beiseitegeräumt, was Helga gesagt hatte, die Erinnerung würde später kommen. In diesem Augenblick hatte er nur Angst vor dem, was Ricky sagen würde.
„Du hast doch keinem etwas erzählt, auch Helga nicht“, begann Ricky. Als er Christians bestürztes Gesicht sah, sagte er: „Nein, natürlich nicht.“
Christians Kopfschütteln bestätigte, was er schon wusste.
„Was ist denn so Wichtiges?“, fragte Christian, nachdem sie wieder schweigend eine Zeitlang dagesessen hatten, Christian den Blick weiterhin gesenkt und Ricky ihn unverhohlen musternd.
„Ach, eigentlich nichts“, antwortete Ricky achselzuckend und er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, „ich wollte nur mal mit dir allein reden.“
„Worüber?“
„Na, zum Beispiel, ob du mich mal wieder besuchen kommst.“
Christian zuckte zusammen. Nein, dachte er, um Gottes willen, nein. Wie naiv war er gewesen zu glauben, er könnte mit Ricky ein freundschaftliches Verhältnis haben.
„Ich weiß nicht“, sagte er, „ich habe wenig Zeit.“
Ricky schien belustigt. Ließ ihn zappeln. Wartete.
„Dann eben nicht.“ Es klang so, als wenn er auch nicht damit gerechnet hätte.
„Ich muss jetzt los“, sagte er, „wir laufen uns bestimmt wieder über den Weg.“
Nachdem er sich die Lederjacke angezogen hatte, streckte er Christian die Hand hin und sagte: „Christian, mach dir mal keine Sorgen. Wird sich schon wieder alles einrenken.“
Beim Herausgehen dachte er: Was bist du doch für ein Schwein. Aber er hatte kein schlechtes Gewissen, im Gegenteil, er hatte sein Machtspielchen ausgekostet.
Christian starrte Rickys gekrümmter Gestalt hinterher, unfähig, den Sinn der letzten Worte zu verstehen. Er sah nur einen dünnen Mann, dessen Schmalztolle von hinten aussah wie eine Welle und dessen Schultern die Lederjacke nicht ausfüllten.
Er konnte nichts denken, nichts um sich herum wahrnehmen. Er fühlte sich leer und hohl, eine große, leere, hohle Hülle.
Wie er aus dem Venezia herausgekommen war, wusste er später nicht mehr. Er jagte durch die Stadt die Königstraße hinunter Richtung Mühlenstraße und Ratzeburger Allee, blind für seine Umgebung und besessen von dem Gedanken, Helga einzuholen, sich vor ihr aufzubauen und ihr alles, auch wirklich alles zu erklären und ein für alle Mal Schluss zu machen mit dem Unsinn Ricky und Co. Doch als er endlich keuchend vor dem Haus der Kortens in der Antonistraße angekommen war, ohne sie eingeholt zu haben, entwich ihm
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