Anderer Welten Kind (German Edition)
auch.“
Hoesler schwieg eine Weile, ließ Ingeborgs Antwort im Raum stehen, dachte nach. Christian saß zusammengekauert auf dem Stuhl, sein schlechtes Gewissen drückte ihn zusammen, aber wenn seine Mutter zu ihm hielt, so wie sie es jetzt getan hatte, obwohl ihr langsam dämmern müsste, dass er es wirklich war, käme er vielleicht doch noch aus der Sache heraus. Und er schwor sich, ihr alles zu erzählen.
Hoesler wandte sich an Dr. Moersfeld.
„Herr Direktor, ich müsste jetzt allein mit dem Jungen und Frau Lorenz sprechen. Aufs Kommissariat möchte ich sie nicht laden. Haben Sie einen Raum, den Sie mir zur Verfügung stellen könnten?“
Dr. Moersfeld überlegte nicht lange. Er erhob sich und sagte, er hätte sowieso etwas im Lehrerzimmer zu tun, sie sollten ruhig hier bleiben. Er reichte Ingeborg die Hand, verbeugte sich leicht und sagte, dass sich alles klären würde, nickte Hoesler und Christian zu und verließ den Raum.
Als sie allein waren, sagte er, die Stimme gleichbleibend freundlich: „Du lügst, mein Junge. Und merk dir genau: Die Polizei zu belügen, ist gar nicht gut. Also, wie kommst du auf das Foto?“
Christian schwieg und kauerte sich noch mehr in sich hinein, starrte auf den Zeitungsausschnitt.
„Frau Lorenz, es ist Christian. Tut mir sehr leid, Ihnen das nicht ersparen zu können, aber wir haben Beweise. Es gibt einen Zeugen.“
Christian durchfuhr es heiß: Helga hatte ihn verraten! Das hätte er nie von ihr gedacht. In seine Angst begann sich leise Empörung zu träufeln.
„Aber, um Gottes willen, was hat er denn getan? Was hast du getan, Christian?“
Christian sagte: „Gar nichts.“ Dann schwieg er, sein Blick stierte weiterhin auf den Tisch.
Hoesler öffnete wieder die grüne Akte und zog drei weißgerändert-gezackte Fotos heraus. Wie drei Spielkarten breitete er sie nebeneinander auf dem Beistelltisch aus. Das Foto aus der Zeitung, diesmal scharf und eindeutig, Ricky Arm in Arm mit ihm und er und Ricky als Frau.
„So, und jetzt wiederhole ich meine Frage zum dritten Mal: Woher kennst du Richard von Dülmen? Und lüg mich nicht weiter an, sonst werde ich andere Saiten aufziehen.“
Ingeborg stieß ein Keuchen hervor, nachdem sie lange auf die Fotos geschaut hatte, und als sie endlich zu verstehen schien, entfuhr ihr ein „Mein Gott!“, das mit einem geflüsterten „Um Himmels willen“ und einem „Es ist … es ist … Mir … mir fehlen die Worte … Das ist ja krank!“ zu Ende gebracht wurde.
Etwas Unaussprechliches war in ihre Welt getreten, das sie dort niemals angesiedelt hätte, das so weit weg von ihrem Lebensalltag entfernt war, das nicht einmal ansatzweise im Kreise ihrer Familie oder Bekanntschaft denkbar, geschweige denn vorstellbar war. Und nun saß sie an diesem Tisch mit ihrem Jungen, ihrem Christian, der ihr, gleichzeitig herausfordernd als frecher Halbstarker, Arm in Arm mit einem widerlichen Transvestiten, von dem Foto aus direkt in die Augen blickte. Der Abgrund hätte nicht tiefer sein können.
Sie löste ihren Blick und dann schaute sie ihren Jungen wie einen Fremden an, als sähe sie das verhuschte Menschlein an dem Tisch das erste Mal.
„Du musst jetzt alles sagen, was du weißt“, brachte sie schließlich mühsam hervor, der Schreck und das Unverständnis über die Fotos standen ihr ins Gesicht geschrieben, und sie dachte mit Grauen an die Begegnung mit Fritz.
Auch Christian konnte seinen Blick nicht von den Fotografien wenden. Er schämte sich mehr, als er sich jemals geschämt hatte, und gleichzeitig bestaunte er sich. Ricky als Frau, das war nur peinlich, das bärtige Gesicht mit der Schminke, die selbst auf diesem Schwarz-Weiß-Foto grellfarbig zu leuchten schien, aber es war auch der Ricky, der ihn verführt und dessen erotischer Ausstrahlung er nichts entgegensetzen konnte. Dennoch: er als Halbstarker, dieser Blick, diese Haltung und dieses Lächeln, dieses Gefühl, daran erinnerte er sich mit so einer Wucht, dass es in seinem Gesicht zu zucken begann.
Kommissar Hoesler nahm es als Eingeständnis, den Jungen überführt zu haben.
„Dann erzähle mal, mein Junge, aber alles. Oder möchtest du als Zeuge, oder wer weiß, vielleicht als Mittäter, vor Gericht und anschließend in den Zeitungen erscheinen? Du hast das jetzt in der Hand.“
Mit dieser Drohung verflog Christians Bewunderung für sich selbst so schnell, wie sie gekommen war. Er musste seine Fantasie nicht besonders anstrengen, um sich vorzustellen, was es hieße,
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