Anderer Welten Kind (German Edition)
nicht schon an seiner Miene sehen, was er angestellt haben könnte und wie schlimm es war.
„Wir müssen Ihrem Sohn ein paar Fragen stellen“, begann Kriminalkommissar Hoesler, „und der Junge ist noch minderjährig und eine Vorladung ins Präsidium wollten wir ihm und Ihnen ersparen. Das ist doch in Ihrem Sinne, nicht wahr, Frau Lorenz?“
Direktor Moersfeld vermutete in dem „Nicht wahr“ eine Replik auf seine Zurechtweisung, überging sie, dachte nur: Aha.
„Zumindest jetzt nicht“, fuhr der Kommissar fort.
„Was hat Christian denn angestellt“, fragte Ingeborg, von Hoesler zu Dr. Moersfeld blickend. Der zuckte mit den Schultern und wich ihrem Blick aus.
„Das wissen wir nicht. Das wollen wir ja gerade erfahren“, sagte der Kriminalkommissar.
An Christian gewandt, überlegte er einen kurzen Moment, bevor er wieder zu seiner Aktentasche griff und sie auf seine Knie stellte, eine Hand am Verschluss.
„Mein Junge, kennst du einen Mann namens Richard von Dülmen?“
Ricky, ich wusste es, es geht um Ricky, dachte Christian.
„Wieso? Ich weiß nicht, der Name … äh … wie sagten Sie? Ich hab’s nicht genau verstanden. Richard was? Warum?“
„Die Frage war doch ganz deutlich, mein Junge.“ Seine Stimme blieb freundlich, ohne Hast, ihrer Sache sicher.
Das verdammte „Mein Junge“ machte Christian ganz rappelig.
„Nur eine Antwort: ja oder nein. Aber ich wiederhole die Frage gern, ich weiß, du bist jetzt sehr aufgeregt: Kennst du den Mann mit dem Namen Richard von Dülmen?“ Er buchstabierte ihn förmlich. „Du weißt schon, der Maler.“ Oder was der darunter versteht, dachte er.
Er ließ Christian keinen Wimpernschlag aus den Augen.
Christian konnte den Blick nicht erwidern.
„Ich … ich glaube nicht. Wer soll das denn sein?“
„Ganz sicher, mein Junge? Nie gehört?“
Er nickte zweimal, überlegte, sagte dann, als wenn er resignierte, „Na gut“ und ließ den Verschluss seiner Aktentasche aufschnappen.
Ingeborg holte Luft, hob an, etwas zu fragen, besann sich und sagte, es sei schon gut, als sie Hoeslers forschenden Blick sah. Dr. Moersfeld blieb distanziert-interessiert, den Stuhl ein wenig aus dem Kreis gerückt, ein stiller Beobachter, die Hände auf dem übergeschlagenen Schenkel locker aufeinandergelegt.
Christian glotzte auf die Aktentasche und die Hände des Kommissars, der darin wühlte und dann eine Akte aus grünem Karton, auf deren Frontseite in eine Tabelle verschiedene Kürzel eingetragen waren, hervorzog und sie geschlossen auf den Beistelltisch legte, ohne die Gummibänder zu lösen.
„Na, dann wollen wir mal“, sagte er, während er die Aktentasche wieder mit einem Klicken verschloss und auf den Boden stellte.
Er streifte die Gummibänder ab, die auf der Rückseite mit zwei Nieten befestigt waren, und öffnete die Mappe. Sie enthielt mehrere mit Schreibmaschine beschriebene, stempelübersäte Seiten. Unter ihnen lugte ein Zeitungsartikel hervor. Den zog er heraus, entfaltete ihn und strich ihn mit einer entschlossenen Handbewegung glatt. Es war der Artikel aus den Lübecker Nachrichten mit dem Foto.
Ingeborg war fassungslos. Also doch Christian? Aber sie konnte den Zusammenhang nicht herstellen zwischen dem Artikel und ihrem Sohn. Wie kam Christian bloß in die Zeitung? Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Deshalb wandte sie sich an Christian und fragte ihn, ob er ihr das einmal erklären könne. Mit einem Blick suchte sie Dr. Moersfelds Unterstützung. Der blieb seiner Rolle als Beobachter treu und sie konnte ihm noch nicht einmal eine Geste des Beistands oder der Vertrautheit entlocken. Hilflos wandte sie sich wieder der Zeitung zu.
„Na, mein Junge, erkennst du dich wieder?“
Es bestand kein Zweifel darüber, dass Kriminalkommissar Hoesler, der verschwiegen hatte, dass er von der Sitte kam und Direktor Moersfeld im Vorgespräch gebeten hatte, es ebenfalls zu verschweigen, da er das Vertrauen des Jungen bräuchte, wie er es ausdrückte, wusste, wer der Junge auf dem Foto war.
„Aber das bin ich nicht“, versuchte Christian zu protestieren, „der sieht doch ganz anders aus. Mama, du weißt doch, dass ich das nicht bin.“
Ingeborg seufzte und antwortete, an den Kommissar gewandt: „Ja, tatsächlich, über das Foto haben mein Mann und ich gesprochen und sogar Scherze gemacht, eine Ähnlichkeit, ja, sehr sogar, und ich war ganz verblüfft, aber das Foto ist so unscharf … nein, das ist nicht Christian. Sagt mein Mann übrigens
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