Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
Vom Netzwerk:
Kopfschütteln.
    „Es war doch nur ein Spiel, ich bin nicht so.“
    „Wie bist du nicht?“
    „Na, so, mit Küssen und so.“
    „Und so? Was ist denn ,und so‘?“
    „So, so … andersherum.“ Christian wand sich und flüsterte beinahe das ungeheuerliche Wort.
    „Bestimmt nicht“, sagte der Kommissar, „aber manchmal passieren Dinge, da kann man gar nichts dafür.“
    Alle drei schwiegen.
    Als der Kommissar wieder zu sprechen anfing, war seine Stimme neutral bis zur Geschäftsmäßigkeit.
    „Ich mache dir einen Vorschlag“, sagte er. „Du sagst mir alles, meinetwegen auch allein, ohne deine Mutter, und dafür musst du nicht vor Gericht aussagen, es bleibt alles unter uns. Versprochen.“
    Seine Handbewegung brachte Ingeborgs Protest zum Schweigen.
    Christian hielt es nicht durch. Er hielt es nicht durch, so sehr er auch dagegen ankämpfte. Er musste sich retten und, Rickys letzten Auftritt und seine Demütigung als eigene Rechtfertigung zusammengebastelt, vielleicht schwang sogar Rache mit, stellte er sich als Opfer dar, von Ricky bedrängt, gegen seinen Willen unsittlich berührt.
    Nachdem er geendet hatte, überkam ihn ein Weinkrampf und in die Tränen und den Rotz mischten sich die Verzweiflung über seinen Verrat und die Dankbarkeit über das Wort, das der Kommissar ihm gegeben hatte.
    „Sie müssen in den nächsten Tagen doch noch einmal ins Kommissariat kommen, das Protokoll zu unterschreiben.“
    Damit waren Ingeborg Lorenz und ihr Sohn entlassen, und bis beide in der Wohnung anlangten und Christian sofort in seinem Zimmer verschwunden war, hielten sie Abstand voneinander, unfähig, sich zu berühren, schweigend, aus tiefstem Herzen beschämt und verzweifelt in ihrem Schockzustand. Ingeborg vermochte nicht, sich Christian mit einem anderen Mann im Bett vorzustellen, überhaupt war er doch noch ein Junge, ein Kind, kein sexuelles Wesen, knutschen, das ja, aber für einen Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern hatte sie kein Bild. Entsetzt war sie über die Fremdheit, mit der sie jetzt Christian begegnete. Das ist nicht mein Sohn, dachte sie wiederholt und in immer kürzeren Panikattacken überfiel sie die Angst vor Fritz, den Nachbarn, Kremers, dem Gerede und den mitleidigen Blicken. Wie sollte sie jemals wieder in anderer Menschen Augen schauen!

16. Kapitel

    Grau in Grau. Christian presste die Stirn an die Fensterscheibe, starrte hinaus. Zweite Märzwoche und immer noch kein Frühling in Sicht. Grau in Grau. Die Bürgersteige mit einer breiigen grau-schwarzen Matsche aus Asche und gefrorenem und wieder geschmolzenem Schnee beplackt, die Sonne eine fahle, kränkelnde Ahnung hinter verblichenen Wolkendecken, Minusgrade, den ganzen Winter lang, nur manchmal über den Gefrierpunkt geklettert, um den knirschenden Untergrund unter den Stiefeln in einen gurgelnd-schmatzenden zu verwandeln. Alle hatten den Winter satt und die Kohlenvorräte, die zur Neige gingen, wurden gestreckt. Auch in der Familie Lorenz ein Hauptthema, daran konnte man sich festhalten.
    Christian beteiligte sich nicht, brütete allein in seinem Zimmer. Niemand forderte ihn auf, sich zu ihnen zu gesellen. Seit zwei Tagen, seit diesem grauenvollen Vormittag im Büro des Direktors Dr. Moersfeld und dem ohnmächtigen Geschrei am Abend, nachdem Fritz nach Hause gekommen war und Ingeborg ihn sofort beiseitegenommen hatte, nach einem Gebrüll aus Vorwürfen und Drohungen und immer wieder den Wortkaskaden aus „krank“, „Heim“, „Vertrauen gehabt“, „pervers“ und „sag, dass das alles nicht …“, schwiegen sie, Christian allein in seinem Zimmer, krankgemeldet in der Schule, Essen in der Küche, und Ingeborg und Fritz, die außer mit hilflosem Gestammel oder unterdrückter Wut das Geschehene einfach nicht benennen konnten, hilflos in ihrer fehlenden Sprache, weil sie nichts über die Lippen brachten, sich weigerten, sich weigern mussten, zu viel wäre in ihr Leben eingebrochen, zu viel Verstehen und Begreifen und Beurteilen und Abwehren und Empören und Mauern-Errichten, zu wenig wäre von ihrem Bild ihres Sohnes übrig geblieben. Das ging über ihre Kraft und ihr Vorstellungsvermögen. Also schwiegen sie, schoben hinaus, warteten ab. Ingeborgs Fremdheit Christian gegenüber hatte sich nicht gelegt und sie fragte sich die ganze Zeit, wie wohl Helga in die Geschichte passte. Hatte das Ende damit zu tun? Er war doch so glücklich mit ihr gewesen, schien es ihr zumindest, vielleicht sollte sie mal mit ihr reden.
    Fritz

Weitere Kostenlose Bücher