Anderer Welten Kind (German Edition)
seines Namens in einem anderen, normalen Zusammenhang, als Mitglied dieser Familie und doch noch irgendwie geliebt, ausblieb.
Auch darüber machte er sich keine Illusionen. Wenn sie wieder Land in Sicht hätten, würden sie schon so reagieren, wie sie es immer taten: ihn bestrafen und nach außen Contenance bewahren. Das war ihm egal. Dass er beim Kommissar nicht durchgehalten hatte, peinigte ihn im Augenblick viel mehr und als er die Szene seiner Niederlage noch einmal durchlebte, stieß er einen gurgelnden Schrei aus und schlug mit dem Kopf zwei-, dreimal auf den Tisch. Nur raushauen konnte er das nicht.
Morgen würde er wissen, ob Helga ihn beim Direktor oder bei der Polizei angeschwärzt hatte. Er würde es sofort beim Betreten der Klasse merken. Das konnte sie nicht verheimlichen. Aber würde sie es dann auch in der Klasse herumerzählt haben? Eher nicht, denn dann müsste sie ja selbst zugeben, nicht erkannt zu haben, was er für einer sei, als sie zusammen waren. Oder gab sie das als Grund für ihre Trennung an? Würde sie so weit gehen? Wie Christian es auch drehte und wendete, es gab alles keinen Sinn, er hatte mit ihr schlafen wollen.
Die Vorstellung, es könnte ganz jemand anderes gewesen sein, der ihn auf dem Zeitungsfoto erkannt und gemeldet hatte, versetzte ihn in einen solchen Schrecken, dass er diese Möglichkeit lieber sofort ausschloss, als sich die Konsequenzen daraus auszumalen. Denn dann wäre es bekannt und das wäre das Schlimmste. Aber je länger er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher kam es ihm vor, dass irgendetwas von dem Gespräch im Direktorenzimmer nach außen gedrungen war. Hätte sonst der Kommissar sein Stillschweigen angeboten? Er hatte das Wort „versprochen“ gesagt und versprochen ist versprochen. Niemand konnte von dem Inhalt des Gespräches etwas ahnen, selbst Dr. Moersfeld nicht – komisch, er hatte noch nie den Namen Moersfeld ohne den Dr. davor gedacht –, er war ja nicht dabei gewesen. Gut, das Bild in der Zeitung bliebe vielleicht, aber da fiele ihm bestimmt eine plausible Erklärung ein, vielleicht sogar etwas, was ihn in den Augen der Klassenkameraden interessanter machen könnte. Hör auf zu spinnen, ermahnte er sich.
So in Gedanken überhörte er die Klingel an der Haustür und erst beim dritten Mal, als sie in Sturm überging, nahm er sie wahr. Er war allein zu Hause, und als er ein wenig ungehalten wegen der Störung öffnete, stand Stefan da und grinste ihn an.
„Mann, hast du geschlafen? Ich muss doch mal nach dem Kranken sehen.“
Damit schob er sich an Christian vorbei und saß schon auf dem Bett mit der Schottenmustermatratze, als Christian hinter ihm hergeschlurft kam. Cordjacke und Schal hatte er achtlos neben sich geworfen.
„Was hast du denn? Ich dachte, du liegst sterbenskrank im Bett?“
„Nicht so schlimm, irgendetwas am Magen … Morgen wollte ich wieder in die Schule kommen. Aber wie bist du reingekommen? War die Haustür auf? Die wird doch jetzt immer abgeschlossen.“
Eine Reaktion der Brandenbaumer Bevölkerung auf die Lautsprecherdurchsagen der Polizei nach einem Ausbruch eines Häftlings aus der nahe gelegenen Haftanstalt Lauerhof am Marliring.
„Ich komme von Marianne, ich meine Frau Sänger. Mann, oh Mann!“
Er schnalzte mit der Zunge und nickte mehrere Male. Dann kratzte er sich im Schritt und grinste dümmlich.
„Ich bin ganz fertig.“
Als er sah, dass Christian weder zum Lachen noch zur Anteilnahme bereit war, zog er die Stirn kraus.
„He, was ist los? Du machst ein Gesicht wie tausend Tage Regenwetter. Was ist dir denn über die Leber gelaufen? Ist es immer noch wegen Helga? Du hast übrigens eine ziemlich rote Klatsche auf der Stirn.“
Christian fasste sich unbewusst an den Kopf und sagte dann, dass es nichts sei, er sei wohl gegen irgendetwas gestoßen. Stefan war sein Freund, sein einziger, wirklicher Freund, fast wie ein Bruder. Als er ihn so erwartungsvoll anschaute, hatte er plötzlich das heftige Verlangen, den ganzen Scheiß loszuwerden und Stefan zum Komplizen zu machen, als wenn er durch seine Mitwisserschaft einen Teil der Last auf ihn abwälzen könnte. Er warf alle Bedenken über Bord und dachte bloß, dass er es sowieso erführe und da sei es besser, direkt von ihm. Und wenn Stefan sich abwendete, dann lieber hier und jetzt, denn dann wüsste er, dass er ganz alleine dastünde, dann wäre das auch egal. Scheiß drauf.
„Warte, ich will dir etwas zeigen.“
Damit verschwand er, um wenig
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