Anderer Welten Kind (German Edition)
später mit den Lübecker Nachrichten in der Hand wieder zu erscheinen. Er setzte sich neben Stefan auf das Bett und schlug die Zeitung auf. Als er die Seite gefunden hatte, sagte er: „Hier, erkennst du den?“ und hielt Stefan den Artikel mit dem Foto von ihm hin.
Stefan betrachtete das Bild, überflog den Artikel, sah Christian an, dann wieder das Bild und fragte: „Nee, wer soll das sein?“
„Schau genauer hin.“
Dabei strich sich Christian die Haare nach hinten und nahm die Pose des Kopfes auf dem Foto ein.
Stefan war jetzt irritiert. Betrachtete das Foto, dann Christian, wanderte zurück zum Foto und fragte, Christian wieder in den Blick nehmend, ganz konsterniert: „Du?“
„Ja, ich“, antwortete Christian. In die entstehende Pause fügte er hinzu: „Lies den Artikel.“
„Und das bist du?“ Stefan wiederholte seine Frage. „Und den Maler, den kennst du? Das ist ja ein Ding. Erzähl mal.“
Bis dahin war er noch nicht auf die Idee gekommen, dass Christian auch nur eine Spur mit dem zu tun haben könnte, weswegen Richard von Dülmen in Untersuchungshaft saß, und sein anfangs interessiertes Gesicht durchlebte die Phasen des Staunens, der Ungläubigkeit, der Fassungslosigkeit, des Ekels und der Anteilnahme – wohl auch gespickt mit dem ersten Impuls, das geschehe ihm ganz recht –, als Christian, mit dürren Worten zwar, die Bettgeschichte nicht verschwieg und deutlich ausgeschmückter und empörter mit dem Verhör durch den Kommissar endete. Die Reaktion seiner Eltern brauchte er nicht zu schildern, die war selbstverständlich und auch Stefan nicht fremd.
Es war Stefan anzumerken, dass er sich unwohl fühlte. Er widerstand seinem Impuls, sofort ein Stückchen beiseite zu rücken, weg von seinem Freund, und während des Berichts durchforstete er seine Erinnerungen, ob ihm schon früher bei Christian etwas Perverses aufgefallen sei und ob ihre Jungenspiele auch für seinen Freund so harmlos waren wie für ihn. Aber da war nichts. Keine tuntige Bewegung oder was er dafür hielt, kein Kussversuch, keine übertriebene Umarmung oder Antatscherei. Dass Christian ihm etwas verheimlicht hatte, hatte er die ganze Zeit gespürt, deswegen war er ja auch sooft sauer auf seinen Freund, nur was war mit Helga? Wusste sie Bescheid? Waren sie deswegen auseinander?
„Meine Eltern und der Kommissar. Und jetzt du, sonst niemand. Versprich mir, dass das so bleibt. Ein wenig hat das auch damit zu tun, das mit Helga und mir, ja.“
Er druckste herum, wollte sich nicht weiter äußern, er streifte die Szene im Venezia ganz oberflächlich. Weshalb, konnte er nicht einmal sagen, vielleicht, weil er dann zugeben musste, wie Ricky ihn behandelt hatte und wie schwach er gewesen war, aber er gab zumindest zu, dass Helga wegen seines Verhaltens Schluss gemacht hatte.
„Von mir erfährt niemand auch nur ein Sterbenswörtchen“, versicherte Stefan und die nächste Stunde verbrachten sie damit, dass Christian Stefans Fragen so genau wie möglich beantwortete, nach seinem Interesse an Malskat, nach seinem Beobachtungsposten im Deepenmoor, nach dem Verhör mit dem Kommissar, aber Stefan steuerte immer wieder auf den Nachmittag bei Ricky hin.
„Wie ist das mit einem Mann? Komm, mach es nicht so spannend.“
Christian hielt sich bedeckt, verschwieg seine damals empfundene Erregung und stellte die Sache als einen Unfall dar, in die er hineingeschlittert sei. Dass sie ihn immer noch erstaunte und beschäftigte, behielt er für sich.
„Küssen, auch küssen?“, insistierte Stefan.
„Na ja, ein bisschen.“
„Küssen, ist das nicht stachelig? So richtig mit Zunge? Bäh.“ Stefan schüttelte sich, ließ aber die Augen nicht von Christian. Irgendwie auch interessant, so aus erster Hand.
„Und dann? Wie weiter? Los, erzähl schon! Wie gesagt, kein Sterbenswörtchen.“
Christian sträubte sich, es war ihm unangenehm und er merkte, wie er dunkelrot wurde.
„Stefan, es reicht. Wichsen, kennste ja. Mehr nicht.“
Stefan beschlich so ein wohlig-ekliges Gefühl, das davon gespeist war, aus erster Hand zu erfahren, wie es mit einem Mann wäre – und dabei keine Angst haben zu müssen, selbst in so eine Situation zu geraten, um eventuell feststellen zu müssen, dass sie ihn anzöge –, einen Mann würde er sowieso nie an sich ranlassen, nicht, nachdem er wusste, was eine richtige Frau will und gibt. Aber seine Neugierde war noch nicht befriedigt.
„Sag bloß, du bist jetzt ein warmer Bruder. Denkst du an Männer?
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