Anderer Welten Kind (German Edition)
mit.
„Hör bitte auf“, sagte Fritz.
Beide schwiegen. Manchmal hatten sie sich nichts zu sagen, dann beschäftigten sie sich mit ihren kleinen Dingen, aber es störte sie nicht, sie konnten es gut aushalten. Fritz meinte, eine Ehe ist dann gut, wenn man Zusammen-Schweigen oder Langeweile erträgt und sich dabei nicht unwohl fühlt. In diesem Sinne führte er eine vorbildliche Ehe. Heute indes war das Schweigen vom Abendbrot übrig geblieben. Es hatte sich nicht umwandeln lassen in das angenehme Stillehalten, in dem die Anwesenheit des anderen ein wohliges Gefühl der Vertrautheit vermittelte. Es blieb zäh und verstopfte den Fluss harmlosen Geplauders. Ingeborg startete noch einen Versuch, über die Stelle in Brandenbaum zu sprechen, aber Fritz winkte ab und er missverstand Ingeborgs Motive. Er unterstellte ihr sofort, sie wolle sich an seinem Unglück weiden oder doch zumindest in seiner Wunde bohren.
Diese Art von Missverständnissen hegte und pflegte Fritz Lorenz geradezu. So konnte er es vermeiden, über Gefühle zu sprechen. Sein Inneres ging niemanden etwas an und seiner Frau gegenüber wollte er sich keine Blöße geben; sie hatte das Anrecht auf einen starken Mann, der für die Familie sorgte. So unterband er jegliche Versuche Ingeborgs, eine Arbeit zu suchen, um sein nicht gerade üppiges Einkommen aufzubessern. Er hätte darin ein eigenes Versagen gesehen. Die ungeschminkte Wahrheit jedoch war, dass er sich minderwertig und verloren in der Nachkriegsgesellschaft wiederfand, dass seine guten Jahre schon vorbei waren, obwohl er noch nicht einmal die Hälfte des Lebens hinter sich hatte. Dreiundvierzig Jahre, was war das schon. Und trotzdem uralt. Er hielt mit, erfüllte die Erwartungen an ihn, so gut es ging. Machte gute Miene zu einem Spiel, das er sich nicht ausgedacht hatte und dessen Regeln er sich unterwerfen musste, die nicht die seinen waren. Vielleicht lag es daran, dass es nach dem Krieg keine Steigerung mehr für ihn gegeben hatte, dass ihm alles fad war. Selbst bei den Treffen mit den alten Kameraden oder den HIAG-Versammlungen, zu denen Herbert und er fuhren, blieb der Enthusiasmus früherer Tage aus und es waren doch wohl, wie er sich heimlich eingestand, nur Reminiszenzen an die alte Zeit, die unabdingbar verloren war, obwohl er sich dort in einer Gesellschaft bewegte, in der er sich noch am wohlsten fühlte.
Merkwürdigerweise waren ihm und Herbert niemals in den Sinn gekommen, dass zum Beispiel der Verlust von Herberts rechtem Bein ein ziemlich hoher Preis für das Abenteuer war, in das sie sich in fanatischer Überzeugung, als sie sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatten, gestürzt hatten. In ihren Hirnen waren es schlicht und einfach die Russen gewesen, der allgegenwärtige Feind, der auch jetzt noch nichts von seiner Aktualität eingebüßt hatte, wie man nur unschwer am Eisernen Vorhang sehen konnte. Was sie in Russland zu suchen hatten, diese Frage stellte sich ihnen nicht, auch nicht in den Jahren nach Kapitulation, Flucht und einer nicht gerade glanzvollen Existenz im neuen Staat. Die Russen waren schuld und natürlich die unfähige Generalität der Wehrmacht, die schwere strategische Fehler begangen hatte. Außer natürlich Franz Hausser, SS-Obergruppenführer, ihr Held, der gegen Hitlers ausdrücklichen Befehl Charkow räumen ließ und den Rückzug der SS-Panzerkorps am 15. Februar 1943 angeordnet hatte, weil die russischen Verbände übermächtig gewesen waren, der Kessel schon fast nicht mehr zu durchbrechen war und eine Wiederholung von Stalingrad den Albtraum schlechthin bedeutet hätte.
Hausser hatte ihnen das Leben gerettet. Es blieb nur bei einem Bein, das Herbert Kremer auf dem Schlachtfeld bei der übereilten Flucht lassen musste. In ihren Augen war es ein geordneter taktischer Rückzug. Hitler war von falschen Beratern umgeben, das war ihnen ganz klar und je länger der Krieg vorbei war, desto mehr vereinfachte sich in ihren Gesprächen um Strategie und Taktik der verlorenen Schlachten ein Bild von Schuld und Unschuld, wobei der Waffen-SS das finale Desaster nicht vorzuwerfen war. Das Bein blieb tabu, es war kein Thema, in keiner der beiden Familien.
Seine Aufgewühltheit hatte sich kaum gelegt und Christian versuchten ihrer Herr zu werden. Sein Herz wollte sich nicht beruhigen, obwohl er auf seinem Bett lag und tief Luft holte. Die Handflächen waren feucht und er stieß immer wieder den Atem durch die Nase. Stand ihm sein Geheimnis so ins Gesicht geschrieben,
Weitere Kostenlose Bücher