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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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hätte er sich die Hände gerieben. Die ganze Warterei hatte sich gelohnt.
    Er musste unbedingt seinen Wissensstand verbessern. Warum hatte er bloß im Kunstunterricht gepennt? Aber seitdem Nagel ihm in der Quarta eine runtergehauen hatte, weil er das Deckweiß, das sie für einen Groschen bei ihm kaufen mussten und das Nagel aus einer großen Tube auf das Packpapier gedrückt hatte, sogleich mit den anderen Farben aus dem Tuschkasten vermischt hatte, weil sie so schön schlierten, ohne abzuwarten, was sie malen sollten, hatte sich Christians Engagement gegen Null entwickelt, und dass er schön zeichnen konnte, hatten weder ihn noch Nagel versöhnt. So wurde sein Baum mit Herbstlaub ein glatter Misserfolg und spätere Themen wie griechische Säulen oder Malerei des Mittelalters hatten ihn gelangweilt. Seine Zeichnungen behielt er für sich und sammelte sie in einer schwarzen Mappe, die er unter die Matratze geschoben hatte.
    Er gab das Bild zurück und von Dülmen streifte leicht seine Hand. Der Chagall gefiel ihm entschieden besser, aber er nickte nur und schwieg. Er wusste nichts zu sagen und ein „Gefällt mir“ oder „Schön“ wäre ihm schrecklich banal vorgekommen und hätte seine Unwissenheit noch unterstrichen.
    „Wir müssen jetzt los“, sagte von Dülmen.
    In diesem Augenblick erhaschte Christians Blick das rote Dreieck auf dem Bild unter dem Tuch und er wandte sich fragend an von Dülmen.
    „Das ist von mir“, sagte der, „deshalb bin ich manchmal hier, wir teilen uns das Atelier. Aber ich male ganz anders.“
    Er machte keine Anstalten, die Leinwand zu entblößen, stattdessen drehte er sich Richtung Tür, als Christian fragte: „Darf ich es sehen?“
    Von Dülmen zögerte, schüttete leicht verneinend den Kopf, hob dann aber, fast resignierend, die Schultern und schickte sich an, die Leinwand zu lüften. Das tat er sehr vorsichtig, als wollte er das Bild vor fremden Augen schützen und den Inhalt nicht preisgeben. Zuerst erschien ein großes rotes Rechteck, der Untergrund hellblau mit einem Kachelmuster, dann eine fast zwei Drittel des Bildes einnehmende blaue Fläche, so blau wie die Farbe der Tinte, die Christian in seinem Tintenfass hatte. Königsblau stand auf dem Etikett. Auf dem roten Rechteck waren zwei Körper in einer Umarmung vereinigt, lang hingestreckt, die Beine ineinander verkeilt, der eine lag halb auf dem Rücken, der andere beugte sich über ihn. Auf der blauen Fläche vollzog ein weiterer nackter Körper Schwimmbewegungen, wobei der rechte, lang ausgestreckte Arm den Beckenrand berührte und der Kopf den beiden Liegenden zugewandt war. Denn das war das Thema des Bildes: Ein Schwimmbecken mit drei nackten Menschen, ein rotes Badetuch.
    Das Bild war sehr grobflächig gemalt mit wilden Pinselstrichen und dick aufgetragener Farbe. Christian erkannte zuerst nicht viel, alle Farben schienen ineinander zu verlaufen, Umrisse waren nicht auszumachen. Er musste einen Schritt zurücktreten, um es zu erkennen, dann schoss ihm die Schamesröte ins Gesicht und er dachte, oh, mein Gott. Es waren drei Männer abgebildet. Die Pobacken des Schwimmers ragten wie zwei Halbkugeln aus dem Wasser, die Spalte als scharfgezeichneter schwarzer Strich, der der Rundung folgte, und einem weicheren, grauen als Schatten. Die Hand eines der Liegenden ruhte auf dem Hintern des anderen; die Fingerspitzen fuhren die Spalte entlang. Sie küssten sich mit offenen Mündern und ihre herausgestreckten Zungen waren rote, signalfarbene Lappen. Eine Hand verschwand zwischen den Beinen des anderen, ein erigierter Penis ragte mit einer rosafarbenen Eichel ins Blau.
    Christian wollte sich sofort abwenden, die Intimität des Bildes schockierte ihn. Er hatte so etwas noch nie gesehen, die Wirkung verschlug ihm Atem und Sprache. Von Dülmen schwieg und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er war ein hohes Risiko eingegangen, das wusste er. Er ließ das Tuch wieder über das Bild fallen und unterließ es, sich zu äußern. Christian drehte sich abrupt um und verließ wortlos das Atelier. Was hätte er auch sagen können? Von Dülmen folgte ihm langsam, holte das eingepackte Bild aus dem Haus, verschloss die Türen und bis zum anderen Ufer wechselten sie weder Worte noch Blicke.
    Als sie die Teerstraße erreichten, sagte von Dülmen: „Jetzt weißt du, wie ich male. Wenn du noch mehr über Malskat erfahren willst, ich bin morgen in Lübeck und gehe am Nachmittag gegen drei ins Eiscafé Venezia. Du kannst ja kommen, wenn du

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