Anderer Welten Kind (German Edition)
Christian.
„Es ist eine Kopie“, sagte von Dülmen, „Malskat kann unheimlich gut fälschen, sonst wären ja nicht alle darauf reingefallen. Es heißt Fliegende Menschen und ich kann dir versichern, wenn es echt wäre, würde Malskat nicht im Moor in einer Kate hausen. Das war übrigens auch Thema im Prozess gewesen. Chagall hat nämlich das Bild für echt gehalten, von ihm selbst gemalt. Das hat er aus Paris, wo er lebt, in einem Gutachten für das Gericht im Prozess gegen Malskat geschrieben. Aber wenn du das Bild umdrehst, kannst du den Stempel von dem Geschäft lesen, in dem die Leinwand gekauft wurde. Siehst du, Henselmann und Söhne, Lübeck. Es gibt viele Menschen, die erwerben sich Fälschungen. Malskat hat mit Galerien und sogar einem Autohändler verhandelt, die Ausstellungen in ganz Deutschland mit den Kopien veranstalten wollten. Schau mal, du könntest feststellen, wenn du das Original sehen würdest, dass Pinselstrich, Pinselstärke und selbst die übermalten Stellen dem Original täuschend ähnlich sind.“
Christian hatte keine Ahnung von Maltechniken, aber er nickte so eifrig, als ob er von Dülmen verstünde. Die Drucke zu Hause waren Glanzfotografien aus einem Kalender und er hatte nie versucht, einen Sinn oder eine eventuelle Botschaft, die in den Bildern stecken mochten, zu erfassen oder sich für ihre Entstehung zu interessieren. Sie gefielen ihm einfach. Es gab niemanden in der Familie, der ihm die Malerei hätte näher bringen können. Die Liebe seines Vaters zu den Impressionisten, wie ein Buch im Bücherregal titelte, war rudimentärer Natur, eher gefühlsmäßige Attraktion denn fundierte Kenntnis. Aber immerhin, es gab ihn im Hause Lorenz, diesen winzigen Hauch, sich der Moderne zu öffnen. Dabei beschränkte sich die Neugier strikt auf Malerei und Skulptur, wobei Barlach den höchsten Rang einnahm. Musik, Theater oder Film, die sich Experimenten oder dem Zeitgeist zuwandten, blieben in der Familie ungefördert. Um ehrlich zu sein, hatte sich Christians Interesse im Wesentlichen auf die Entdeckung des nackten Körpers beschränkt, der in der prüden Atmosphäre seines Elternhauses tabuisiert war. So konnten das angedeutete V eines Venushügels einer Nackten auf den Bildern oder der unbekleidete muskulöse Körper eines Mannes in ihm einen leichten Schwindel entfachen und lösten ein Kribbeln im Unterleib aus. Erst als er begonnen hatte zu malen und Bilder aus dem Buch zu kopieren, begann er zu ahnen, was die Malerei ihm bedeuten könnte, auch wenn die Beschränkungen durch den Tuschkasten und die fehlenden Techniken seine Möglichkeiten sehr einschränkten.
Von Dülmen kramte hinter dem Bilderstapel eine Mappe hervor, löste die schwarze Schnur und blätterte einige Bilder um. Dann nahm er eine Zeichnung heraus und hielt sie an die Petroleumlampe. Sie stellte einen mit wenigen Strichen skizzierten Frauenakt dar, der eine Sitzende von hinten zeigte, die den Kopf nach links zu jemandem neigte, der sich außerhalb des Bildes befinden musste. Die Pobacken begrenzten das Bild nach unten, sodass die Beine nicht zu sehenw waren. Die Frau war kräftig und der Ansatz der linken Brust, die vom Arm verdeckt war, und die starke Hüfte mit dem Fettpolster und dem ausladenden Hinterteil ließen die Gruben und Vertiefungen der Haut fast plastisch erscheinen, obwohl nur einige hingeworfene Striche sie als Schattenschraffur markierten.
„Lovis Corinth, Frauenakt, auch von Malskat“, sagte von Dülmen. „Aber das wollte ich dir gar nicht zeigen. Ach, hier ist es.“
Er zog ein weiteres Bild aus der Mappe und hielt es Christian hin. Es war ein Aquarell, das eine kleine Landschaftsszene preisgab, einen geschwungenen Weg, der durch Büsche und Hecken begrenzt sich in der Ferne verlor, darüber ein gelbblauer Himmel. Kräftige Farben, die ineinander übergingen, Wegfurchen, mit dunklen Strichen hervorgehoben.
„Das ist echt, so malt er, wenn er nicht kopiert, Blumen und Landschaften, im Nolte-Stil.“
Christian hatte keinen Vergleich. Er konnte weder die Qualität beurteilen noch hatte er einen Maßstab für gute oder schlechte Malerei. Das Bild gefiel ihm, die Farben schienen selbst im Schein der Petroleumlampe zu strahlen und zu leuchten. Der Eindruck, den es auf ihn machte, rührte gar nicht einmal so sehr von dem Bild her, sondern von dem schier unglaublichen Umstand, hier im Atelier von Malskat zu stehen und seine Bilder zu betrachten. Ihn durchströmte ein Glücksgefühl und am liebsten
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