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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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magst.“
    Seine Stimme war freundlich, neutral und nichts deutete darauf hin, dass er beunruhigt war oder dass etwas Ungewöhnliches passiert wäre. Er streckte Christian zum Abschied die Hand entgegen und sein Händedruck war kurz und fest. Dann drehte er sich um und überquerte die Straße Richtung Bushaltestelle.
    Christian, der versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, wäre am liebsten gelaufen, um eine Distanz zwischen sich und von Dülmen zu bringen. Er konnte das Bild, das er gesehen hatte, und die Person, die es gemalt hatte, nicht unter einen Hut bringen, es ergab keinen Sinn. Ihn irritierte nicht die Person von Dülmen, trotz der Blicke, sondern das Bild, das er gemalt hatte. Was steckte dahinter? Künstlerische Freiheit? Provokation? Auch damit konnte Christian nichts anfangen. Aber das Bild ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, stieß ihn ab und löste gleichzeitig eine Anziehung aus, die er sich nicht erklären konnte.
    Als er auf dem Bett lag, erwischte er sich dabei, dass seine eher ablehnende Haltung langsam der Neugierde wich, die, gemischt mit dem Gefühl, Zeuge eines für sein Leben völlig aus dem Rahmen fallenden Ereignisses gewesen zu sein, ihn gleichsam verunsicherte und anzog. So einen wie von Dülmen hatte er bisher nicht kennengelernt. Und vor allem, das Bild wirkte nach. Hatte er wirklich drei nackte Männer gemalt, zwei davon in eindeutiger Absicht? Christian beschloss, am nächsten Tag ins Eiscafé zu gehen. Stefan musste eben warten; ihm würde schon eine Ausrede einfallen.

3. Kapitel

    Christian hatte unruhig geschlafen. Mehrere Male war er aufgewacht, hatte sich überreizt hin- und hergewälzt, das Kopfkissen in verschiedene Positionen geschoben, um dann wieder in einen Halbschlaf zu fallen, der von Ricky und den drei Männern auf dem Bild bevölkert war. Wie in einer Endlosschleife kehrten der nackte Penis und die Zungenlappen und Rickys ironische Blicke in immer neuen Konstellationen zurück und Christian wollte das Spektakel beenden und war gleichzeitig von ihm angezogen. Er sah sich vor dem Bild stehen, wollte weg, konnte nicht, konnte nicht von Ricky wegkommen, der lächelte und etwas sagte, was er nicht verstand. Der Dämmerzustand endete stets jäh mit dem Auftauchen von Stefan, der ihn fassungslos anstarrte, um ihn beim nächsten Wegkippen von Neuem heimzusuchen. In den Wachphasen zwang er sich, an etwas so Normales zu denken wie das Referat über die Sputniks, aber die Bilder waren stärker und noch im Halbdämmer schoben sie sich vor Raketen und Hunde im Weltraum, um in ihrer schreienden Farbigkeit seine Sinne aufzureizen.
    Vollkommen gerädert stand er um halb sieben auf, als er hörte, wie sein Vater das Badezimmer verlassen hatte und sein morgendliches Ritual absolvierte. Glücklicherweise sprach ihn sein Vater nicht wegen gestern Abend an, dessen Einsilbigkeit dämpfte jeden Wunsch nach Unterhaltung. Im Radio lief eine Morgensendung. Christian konnte sich nicht erinnern, jemals einen anderen Sender gehört zu haben. Seine Mutter und Renate waren auch schon auf, Renate bereits im Mantel auf dem Weg ins Büro. Günter war gestern Abend gegangen, er durfte nämlich nicht bei den Lorenz’ übernachten. Das Getratsche der Nachbarn wäre unausweichlich erfolgt und Renate hielt etwas auf sich. Ingeborg wollte sich nicht dem Vorwurf der Kuppelei aussetzen.
    Das Frühstück verlief schweigend. Christian schmierte sich seine Schnitten selbst, auch die für die Frühstückspause. Er konnte sich in der Schule für 20 Pfennig eine Flasche Milch oder Kakao kaufen, als Schulprogramm aufgelegt und subventioniert von der Stadt Lübeck. In seiner Klasse, in der Untersekunda, waren sie zu viert, die diesen Dienst in Anspruch nahmen, und es war ihm immer peinlich, sodass er oft am Wochenbeginn für die gesamte Woche zahlte, ohne die Bons beim Hausmeister in den ersten großen Pausen gegen eine Flasche einzutauschen.
    Am schlimmsten aber war der Beginn des neuen Schuljahres, wenn ihn die unausweichliche Frage des Klassenlehrers Herrn Hansen nach Lernmittelfreiheit in die Rolle des Underdogs katapultierte. Hier musste er sich melden und Stefan und er waren die Einzigen, die unter den höhnischen Augen einiger Klassenkameraden hinter Hansen herstolpern mussten zum Lernmittelraum, um dann vollgepackt mit einem schäbigen Satz zerlesener und halb auseinandergefallener Schulbücher wieder in der Klasse zu erscheinen. Besonders fühlte sich Christian von Jürgen Feddersen, einem Arztsohn, in die

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