ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
im Kreise und schrien und kreischten, als solle es über die ganze Welt gehört werden. Sie sprang wie die gejagte Hindin, und bei jedem Schritt stieß sie mit dem Fuße auf scharfe Feuersteine, die die Füße zerschnitten, daß es schmerzte. "Woher kommen diese scharfen Steine? Wie welkes Laub liegen sie auf der Erde."
"Das ist jedes unvorsichtige Wort, das Du fallen ließest und das Deines Nächsten Herz weit tiefer versehrte, als jetzt die Steine Deinen Fuß."
"Das habe ich nicht bedacht!" sagte die Seele.
"Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet!" erklang es durch die Luft. "Wir haben alle gesündigt!" sagte die Seele und erhob sich wieder. "Ich habe das Gesetz und das Evangelium gehalten, ich habe getan, was ich tun konnte, ich bin nicht wie die anderen."
Und sie standen an der Himmelspforte, und der Engel, der Hüter des Eingangs, fragte: "Wer bist Du? Bekenne mir Deinen Glauben und zeige ihn mir in Deinen Taten!"
Ich habe alle Gebote strenge erfüllt. Ich habe mich vor den Augen der Welt gedemütigt, ich habe das Böse und die Bösen gehaßt und verfolgt, sie, die auf dem breiten Weg zur ewigen Verdammnis schreiten, und das will ich noch jetzt mit Feuer und Schwert, wenn ich die Macht dazu habe."
"Du bist also einer von Mohammeds Bekennern!" sagte der Engel.
"Ich? - Niemals."
"Wer zum Schwerte greifet, soll durch das Schwert umkommen, sagt der Sohn! Seinen Glauben hast Du nicht. Bist Du vielleicht ein Sohn Israels, der mit Moses spricht: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ein Sohn Israels, dessen eifernder Gott nur Deines Volkes Gott ist?"
"Ich bin ein Christ!"
"Das erkenne ich weder in Deinem Glauben noch in Deinen Taten. Christi Lehre ist Versöhnung, Liebe und Gnade."
"Gnade!" erklang es durch den unendlichen Raum und die Himmelspforte öffnete sich und die Seele schwebte der offenen Herrlichkeit entgegen.
Aber das Licht, das herausströmte, war so blendend, so durchdringend, daß die Seele zurückwich wie vor einem gezogenen Schwerte. Die Töne erklangen so weich und ergreifend, wie keine irdische Zunge es wiedergeben kann, und die Seele bebte und beugte sich tiefer und immer tiefer; doch die himmlische Klarheit durchdrang sie und sie fühlte und empfand, was sie niemals zuvor gefühlt hatte, die Bürde ihres Hochmutes, ihrer Härte und Sünde. - Es wurde licht in ihr.
"Was ich Gutes tat in der Welt, das tat ich, weil ich nicht anders konnte, aber das Böse - das kam aus mir selbst!"
Und die Seele fühlte sich von dem reinen, himmlischen Lichte geblendet; ohnmächtig versank sie, so schien es ihr, in sich selbst verkrümmt in die Tiefe. Gebeugt, unreif für das Himmelreich und mit den Gedanken bei dem strengen, gerechten Gott, wagte sie nicht hervorzustammeln: "Gnade."
Und nun war die Gnade da, die nicht erwartete Gnade.
Gottes Himmel war überall im unendlichen Raum, Gottes Liebe durchströmte ihn in unerschöpflicher Fülle.
"Werde heilig, herrlich, liebreich und ewig, o Menschenseele!" klang es und sang es. Und alle, alle sollten wir an unseres irdischen Lebens letztem Tage, wie die Seele hier, zurückbeben vor des Himmelreichs Glanz und Herrlichkeit, sollten uns beugen und tief und demütig niedersinken und doch getragen von seiner Liebe, seiner Gnade, aufrecht erhalten werden, schwebend in neuen Bahnen, geläutert, edler und besser, und immer näher des Lichtes Herrlichkeit, bis wir, von ihm gestärkt, Kraft erhalten, um zur ewigen Klarheit emporzusteigen.
Des Junggesellen Nachtmütze
Da gibt es in Kopenhagen eine Gasse, die den wunderlichen Namen "Hyskengasse" trägt. Und weshalb heißt sie so, was hat es zu bedeuten? Es soll deutsch sein, aber damit tut man den Deutschen unrecht. "Häuschen" müßte es heißen und das bedeutet: kleine Häuser. Diese hier waren damals, und das ist viele Jahre her, eigentlich nichts anderes als hölzerne Buden, fast wie man sie heutzutage auf den Märkten aufgestellt sieht. Ein wenig größer waren sie wohl und mit Fenstern versehen, aber die Scheiben waren aus Horn oder Blasenhaut, denn in jener Zeit waren gläserne Scheiben zu teuer für die Häuser. Aber die Zeit liegt so weit zurück, daß Urgroßvaters Urgroßvater, wenn er davon sprach, es auch schon die alten Zeiten nannte. Es ist mehrere hundert Jahre her. Damals trieben die reichen Kaufleute in Bremen und Lübeck den Handel in Kopenhagen. Sie selbst kamen nicht herauf, sie sandten nur ihre
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