Andorra
nochmals erzählst. Dein Schicksal ist nicht mein Schicksal, Vater, und mein Schicksal ist nicht dein Schicksal.
LEHRER Mein einziger Zeuge ist tot.
ANDRI Sprich nicht von ihr!
LEHRER Du trägst ihren Ring -
ANDRI Was du getan hast, tut kein Vater.
LEHRER Woher weißt du das?
Andri horcht.
Ein Andorraner, sagen sie, hat nichts mit einer von drüben und schon gar nicht ein Kind. Ich hatte Angst vor ihnen, ja, Angst vor Andorra, weil ich feig war -
ANDRI Man hört zu.
LEHRER sieht sich um und schreit gegen die Häuser: - weil ich feig war! Wieder zu Andri: Drum hab ich das gesagt. Es war leichter, damals, ein Judenkind zu haben. Es war rühmlich. Sie haben dich gestreichelt, im Anfang haben sie dich gestreichelt, denn es schmeichelte ihnen, dass sie nicht sind wie diese da drüben.
Andri horcht.
Hörst du, was dein Vater sagt?
Geräusch eines Fensterladens
Sollen sie zuhören!
Geräusch eines Fensterladens
Andri -
ANDRI Sie glauben's dir nicht.
LEHRER Weil du mir nicht glaubst!
Andri raucht.
Du mit deiner Unschuld, ja, du hast den Stein nicht geworfen, sag's noch einmal, du hast den Stein nicht geworfen, ja, du mit dem Unmaß deiner Unschuld, sieh mich an wie ein Jud, aber du bist mein Sohn, ja, mein Sohn, und wenn du's nicht glaubst, bist du verloren.
ANDRI Ich bin verloren.
LEHRER Du willst meine Schuld!? Andri blickt ihn an. So sag es!
ANDRI Was?
LEHRER Ich soll mich aufhängen, Sag's!
Marschmusik in der Ferne
ANDRI Sie kommen mit Musik.
Er nimmt eine nächste Zigarette.
Ich bin nicht der erste, der verloren ist. Es hat keinen Zweck, was du redest. Ich weiß, wer meine Vorfahren sind. Tausende und Hunderttausende sind gestorben am Pfahl, ihr Schicksal ist mein Schicksal.
LEHRER Schicksal!
ANDRI Das verstehst du nicht, weil du kein Jud bist -
– 48 –
Max Frisch - Andorra
Er blickt in die Gasse.
Lass mich allein!
LEHRER Was siehst du?
ANDRI Wie sie die Gewehre auf den Haufen werfen.
Auftritt der Soldat, der entwaffnet ist, er trägt nur noch die Trommel, man hört, wie Gewehre hingeworfen werden; der Soldat spricht zurück:
SOLDAT Aber ordentlich! hab ich gesagt. Wie bei der Armee!
Er tritt zum Lehrer.
Her mit dem Gewehr.
LEHRER Nein.
SOLDAT Befehl ist Befehl.
LEHRER Nein.
SOLDAT Kein Andorraner hat etwas zu fürchten.
Auftreten der Doktor, der Wirt, der Tischler, der Geselle, der Jemand, alle ohne Gewehr.
LEHRER Lumpenhunde! Ihr alle! Fötzel! Bis zum letzten Mann. Fötzel!
Der Lehrer entsichert sein Gewehr und will auf die Andorraner schießen, aber der Soldat greift ein, nach einem kurzen lautlosen Ringen ist der Lehrer entwaffnet und sieht sich um.
- mein Sohn! Wo ist mein Sohn?
Der Lehrer stürzt davon.
JEMAND Was in den gefahren ist.
Im Vordergrund rechts, am Orchestrion, erscheint Andri und wirft eine Münze ein, so da ss seine Melodie spielt, und verschwindet langsam.
Vordergrund
Während das Orchestrion spielt: zwei Soldaten in schwarzer Uniform, jeder mit einer Maschinenpistole, patrouillieren kreuzweise hin und her.
– 49 –
Max Frisch - Andorra
Elftes Bild
Vor der Kammer der Barblin. Andri und Barblin. Trommeln in der Feme.
ANDRI Hast du viele Male geschlafen mit ihm?
BARBLIN Andri.
ANDRI Ich frage, ob du viele Male mit ihm geschlafen hast, während ich hier auf der Schwelle hockte und redete. Von unsrer Flucht!
Barblin schweigt.
Hier hat er gestanden: barfuss, weißt du, mit offnem Gurt -
BARBLIN Schweig!
ANDRI Brusthaar wie ein Affe.
Barblin schweigt.
Ein Kerl!
Barblin schweigt.
Hast du viele Male geschlafen mit ihm?
Barblin schweigt.
Du schweigst... Also wovon sollen wir reden in dieser Nacht? Ich soll jetzt nicht daran denken, sagst du.
Ich soll an meine Zukunft denken, aber ich habe keine... Ich möchte ja nur wissen, ob's viele Male war.
Barblin schluchzt.
Und es geht weiter?
Barblin schluchzt.
Wozu eigentlich möcht ich das wissen! Was geht's mich an? Bloß um noch einmal ein Gefühl für dich zu haben.
Andri horcht.
Sei doch still!
BARBLIN So ist ja alles gar nicht.
ANDRI Ich weiß nicht, wo die mich suchen -
BARBLIN Du bist ungerecht, so ungerecht.
ANDRI ICh werde mich entschuldigen, wenn sie kommen...
Barblin schluchzt.
Ich dachte, wir lieben uns. Wieso ungerecht? Ich frag ja bloß, wie das ist, wenn einer ein Kerl ist. Warum so zimperlich? Ich frag ja bloß, weil du meine Braut warst. Heul nicht! Das kannst du mir doch sagen, jetzt, wo du dich als meine Schwester fühlst.
Andri streicht über ihr Haar.
Ich
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