Andreas Steinhofel
immer länger werdenden Apfelschale
abzuwenden.
Ich werfe, etwas heftiger als nötig, die Tür des Kühlschranks
zu, aus dem ich mir gerade eine Tüte Milch genommen habe.
»Wer sagt das?«
»Kora hat es gehört. Irgendwelche Typen haben in der Pause
darüber geredet.«
Ich weiß nicht, warum ich bei dieser Nachricht sofort an Wolf
denken muss, vielleicht weil ich davon überzeugt bin, dass er
mehr sieht als andere Leute. Aber mit wem sollte Wolf reden?
Jedenfalls wird Nicholas wenig begeistert sein, wenn er davon
erfährt.
Ich trinke einen Schluck Milch, direkt aus der Tüte. »Haben
sie Namen genannt, außer meinem?«
»Nein. Wäre das so schlimm?«
»Es geht niemanden etwas an.«
»Auch mich nicht?«
Dianne klingt ganz ruhig. Ich werde trotzdem nervös. Ich
wünschte, sie würde wenigstens einmal aufschauen, sich
weniger auf dieses blöde Obst und mehr auf mich
konzentrieren. Vielleicht sollte ich ihr sagen, dass es
Schwachsinn ist, den Apfel zu schälen. Die meisten Vitamine
sitzen in oder direkt unterhalb der Schale.
»Weißt du, du gehst mir seit Wochen und Monaten aus dem
Weg, Dianne. Offen gestanden hatte ich nicht den Eindruck,
dass mein Leben dich sonderlich interessiert.«
Keine Antwort.
»Und warum hätte ich dir überhaupt davon erzählen sollen?
Du hast mir schließlich auch nichts von Kora erzählt, obwohl
ihr euch den ganzen Sommer über nachts am Fluss getroffen
habt.«
Sie fragt mich nicht einmal, woher ich das weiß. Sie schüttelt
nur den Kopf. Die Apfelschale fällt auf den Tisch. Jetzt beginnt
sie, den Apfel auf einem Teller in gleich große Achtel zu
zerteilen. Es sieht aus, als falle er fast von selbst auseinander,
ohne dass Dianne Druck auf das Messer ausüben muss.
»Ich hab über vieles nachgedacht, Phil.«
»So?« Ich nehme einen weiteren Schluck Milch, dann stelle
ich die Tüte zurück in den Kühlschrank. »Auch über dich und
Glass?«
»Natürlich.«
»Und?«
»Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man Dinge, die
man nicht ändern kann, eben einfach akzeptieren muss.«
»Damit machst du es dir ziemlich einfach.«
»Meinst du? Ich finde, ich mache es mir verdammt schwer. «
Sie hält mir eine Apfelscheibe entgegen. »Möchtest du?«
»Danke.«
»Danke ja oder danke nein?«
Ich setze mich auf die Tischkante, nehme das Stück Apfel
entgegen, kaue darauf herum. Dianne hat sich nicht die Mühe
gemacht, das Gehäuse herauszuschneiden. »Können wir nicht
mal richtig miteinander reden?«
»Tun wir doch gerade.«
»Länger«, sage ich. »Und ohne darüber in Streit auszubrechen
und ohne dass du mittendrin einfach abhaust.«
»Okay. Aber noch nicht jetzt.«
»Wann dann?«
»Bald. Wenn ich fertig bin mit Nachdenken.« Dianne ordnet
die verbliebenen sieben Apfelstücke sternförmig auf dem Teller
an. »Bist du glücklich mit deinem Freund?«
»Na ja…« Ich kaue den letzten Rest des Apfelstücks. »Ich
sollte es sein, aber die Sache ist nicht ganz einfach. Er ist so
verschlossen. Ich bin mir nicht sicher, was er von mir will.«
Mehr um sie von Nicholas abzulenken als aus Neugier wage ich
einen Schuss ins Blaue. »Und du, bist du glücklich mit Kora?«
»Ich bin nicht in sie verliebt, falls du das wissen willst«, gibt
Dianne ruhig zurück. »Ich bin nicht wie Tereza. Kora ist nur
eine Freundin, das ist alles. Aber, ja, ich bin froh, sie zu haben.
Wie heißt dein Freund?«
»Nicholas. Und ich wäre dir dankbar, wenn du das für dich
behältst, auch Kora gegenüber.«
»Keine Sorge.« Dianne steht auf, nimmt den Teller mit den
Apfelschnitten und geht zur Tür. »Vielleicht ist das Päckchen
von ihm.« Und damit verschwindet sie hinaus in den Flur –
gleitet davon, mit diesem ihr eigenen, seltsam schwebenden,
völlig geräuschlosen Schritt.
Ich nehme die Apfelschale vom Tisch, werfe sie weg und
gehe in die Eingangshalle um mein Päckchen von der Treppe zu
holen. Dianne hat bestenfalls zehn Sekunden Vorsprung, aber
sie ist schon nicht mehr zu sehen.
Sie hat Recht gehabt, das Päckchen stammt von Nicholas. Ich
erkenne die Handschrift sofort. Ich muss grinsen. Er hat keinen
Ton davon gesagt, mit keiner Regung zu erkennen gegeben,
dass in Visible eine Überraschung auf mich wartet. Ich schüttele
das Päckchen, irgendetwas klappert. Ich gehe damit in die
Bibliothek, setze mich auf den Thron der Geschichten und halte
es eine Weile in den Händen, bevor ich es aufreiße. Obenauf ein
gefalteter, beidseitig mit der Maschine beschriebener
Briefbogen. Darunter ein kleinerer, verschlossener
Weitere Kostenlose Bücher