Andreas Steinhofel
Küche in Bewegung gesetzt. »Hast du gefeiert?«
»Ja. Mir ist eher nach einer heißen Dusche.«
»Du kannst beides haben.«
»Noch besser.«
»Der Gast ist König«, ruft Pascal über die Schulter. Es klingt
eher so, als fände sie, dass man Gäste unmittelbar nach Betreten
der Wohnung erschießen sollte. »Komm in mein
Arbeitszimmer, wenn du fertig bist.«
Ich könnte ewig unter der Dusche stehen. Minutenlang lasse
ich heißes Wasser auf mich einprasseln, bevor ich den Regler
auf kalt stelle und ein kurzer, eisiger Schwall auch die letzten
grauen Schleier aus meinem Gehirn vertreibt. Als ich das
Badezimmer verlasse, fühle ich mich wie neugeboren. Barfuß
und mit nassen Haaren, nur in ein gigantisches Frotteetuch
gewickelt, tappe ich über flauschigen Teppich durch die
Wohnung. Die Tür zur Küche steht offen, Kaffeeduft zieht in
den Flur. Im Vorbeigehen fällt mein Blick auf das an der
hinteren Wand angebrachte Pinnbord und die weiße Postkarte,
die Tereza vor fünf Jahren von Pascal erhielt.
Mein Herz für deines.
Ein Leben für ein Leben.
Ich kenne Pascals Arbeitszimmer, ihre kleine Schmuckfabrik,
wie sie selbst es nennt. Ich finde, es gleicht eher dem großen
Chaos. Auf einer breiten Arbeitsplatte liegen Werkzeuge
verstreut, die mich an Miniaturausgaben mittelalterlicher
Folterinstrumente erinnern. An den Wänden hängen mit
Reißzwecken befestigte Entwurfszeichnungen. Offene
Schubladen quellen über von Silberdraht und Nylonschnur. In
Schachteln und Kistchen liegt Bernstein in allen Stadien der
Bearbeitung, vom groben, trüben Klumpen über den fertig
bearbeiteten, milchig transparenten Stein, in dessen Gelb die
typisch braunroten Flecken eingefangen sind. Pascals
Spezialität allerdings sind die kleinen, sorgfältig geschliffenen
Splitter, die sie zu offenen Mustern in ihrerseits in Form
geschliffene Holzstückchen einsetzt.
Das Durcheinander hat seine eigene Qualität. Von den
Schmuckstücken selbst lässt sich das nicht unbedingt
behaupten, was keine Gehässigkeit ist, sondern eine
Feststellung, die Pascal vermutlich als Erste unterschreiben
würde. Jedem der in Silber oder Holz gefassten
Bernsteinanhänger an langen Halsketten, jedem der mit dicken
Steinen besetzten Ringe ist anzusehen, dass sie nicht mit
besonders viel Enthusiasmus hergestellt werden. Vielleicht ist
der Eindruck ein anderer, wenn man nur Einzelstücke sieht –
Pascal drapiert sie zum Verkauf auf Samt und Brokat -, aber
hier liegen die Schmuckstücke herum wie am Fließband
gefertigt, auswechselbare Zeugnisse von Lieblosigkeit und
schöpferischer Unlust.
»Und«, begrüßt mich Pascal, »wie geht es dir und dem
Märchenprinzen? Hat sich euer Aktionsradius inzwischen über
das Bett hinaus erweitert?«
»Hat er.«
»Aber ein Problem hast du trotzdem.« Sie beugt sich wieder
über das Stück Holz, das sie mit Schleifpapier bearbeitet hat, als
ich das Zimmer betrat. »Sonst wärst du nicht hier, oder?«
Nett von ihr, gleich auf den Punkt zu kommen. Ich würde
mich lieber mit Tereza unterhalten. Aber ich habe das Gefühl,
im Moment nicht wählerisch sein zu können. Außerdem mag
Pascal zwar einige Defizite aufweisen – an Taktgefühl genauso
wie an Sensibilität im Umgang mit den Gefühlen ihrer
Mitmenschen -, aber ein Mangel an praktischer
Lebenserfahrung zählt mit Sicherheit nicht dazu. Also hole ich
einmal tief Luft, und dann erzähle ich ihr von meinem Neid auf
Kat, davon, dass es ihr offensichtlich besser gelingt als mir,
Nicholas aus sich herauszulocken.
»Bist du dir da so sicher?« Pascal sieht kurz von ihrer Arbeit
auf. »Er mag auf sie anders reagieren als auf dich. Aber das
muss nicht heißen, dass er sie deshalb näher an sich heranlässt.
Warum fragst du Kat nicht danach?«
»Sie könnte es als Misstrauen auslegen.«
»Das ist es doch auch, oder?«
»Schon, aber -«
Sie winkt ab. »Was willst du von Nicholas, Phil? Was willst
du wirklich von ihm?«
»Ich weiß es nicht. Mehr Sicherheit, denke ich.«
»Die gibt es in keiner Beziehung.«
»Gut, dann eben, dass er sich nicht dauernd so verschlossen
gibt. Er weiß alles von mir, ich stehe völlig nackt vor ihm da,
aber von ihm kommt nichts.« Ich ziehe das Badetuch etwas
fester um mich und überlege. »Das Komische ist, dass ich ihn
trotzdem liebe.«
»Wie romantisch. Wenn du trotzdem durch deshalb ersetzt,
kommst du der Sache vermutlich näher.« Pascal legt Holz und
Sandpapier beiseite und kippt ein paar
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