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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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robbte
durch die Hecke.
    Die anfängliche Begeisterung, die in mir aufkam, nachdem ich
mich auf der anderen Seite der Hecke ins Freie gekämpft hatte
und den Teich sah, wich angesichts des dunklen Wassers einer
unbestimmten Angst. Es war eine Angst, die sich in Entsetzen
verwandelte, als ich versuchte, die Tiefe des Teiches
auszuloten. Ich benutzte dazu die über zwanzig Meter lange, auf
das Stöckchen gewickelte Schnur, die zu einem vom
Herbstwind des letzten Jahres davongetragenen Drachen – ein
Geschenk Terezas – gehört hatte. Am Ende der Schnur
befestigte ich einen Stein. Ich ließ ihn in das Wasser sinken;
langsam und kontinuierlich spulte die Schnur sich ab.
Schließlich war sie aufgebraucht. Ein kurzer Ruck ging durch
den Stock, als sie sich straffte und der Stein in seinem freien,
trägen Fall gebremst wurde.
    »Zwanzig Meter«, flüsterte ich und zuckte zusammen, als ein
Raunen durch das Laub der umstehenden Bäume ging, als
wollten sie mir zustimmen. »Und der ist immer noch nicht auf
dem -«
    Ein zweiter Ruck schoss durch den Stock, so jäh und
unerwartet, dass es mich um Haaresbreite ins Wasser gerissen
hatte. Jemand – etwas – zog und zerrte an der Schnur. Der Stock
entglitt meinen Händen, riss brutal Haut aus meinen
Handflächen mit sich, klatschte auf die schwarze Oberfläche
des Teiches und wurde von ihm verschluckt. Konzentrische
Ringe breiteten sich von der Stelle aus, wo er versunken war, zu
schnell, wie ich fand: Sie schossen über das Wasser und prallten
gegen die niedrige Uferbegrenzung, so blitzartig, als habe
jemand für diesen kurzen Moment die Zeit beschleunigt.
    Ich keuchte und ließ mich nach hinten fallen, mit jagendem
Herzschlag krabbelte ich so weit vom Rand des Teiches fort,
wie ich konnte. Ich glaubte, ein Aufstöhnen durch das Laub der
umstehenden Bäume gehen zu hören. Meine Hände schmerzten.
Kratzende und stechende Schlehdornzweige im Rücken, starrte
ich auf den Teich und wartete darauf, das das Wasser
aufbrodeln und etwas sich daraus erheben würde – etwas, das
dunkel war, dunkel und alt, alt und sehr böse. Als nichts
geschah, tastete ich mich wieder zurück an den Rand des
Gewässers, langsam, Zentimeter um Zentimeter.
    Nichts.
Schwarzes Wasser.
Ich wartete lange, eine halbe Stunde, vielleicht auch eine
    ganze, ohne dass auch nur ein Kräuseln die schweigende
Oberfläche bewegte. Der Stock blieb verschwunden. Ich
beschloss, nie wieder an den Teich zurückzukehren, und tat es
doch und immer wieder. Mehr noch, ich nannte ihn jetzt meinen
Teich, vielleicht deshalb, weil ich für seine Entdeckung mit
Angst und Schrecken bezahlt hatte. Paleiko erwies sich, als ich
ihn danach fragte, was der Teich verborgen halte, einmal mehr
als ausgesprochen unnütz wegen der Schwammigkeit seiner
Aussagen. Er gab mir den für mich genauso offensichtlichen
wie undurchführbaren Rat, nur tief genug zu tauchen, um dem
Geheimnis auf den Grund zu kommen.
    Bis heute habe ich nicht gewagt, in das Wasser zu steigen und
darin zu schwimmen. Bis heute bin ich der Einzige, der den
Teich kennt – weder Dianne noch Glass wissen von der
Lichtung, selbst Kat habe ich nie davon erzählt, auch nicht als
Kind, als sei mir schon damals bewusst gewesen, dass jeder
Mensch Geheimnisse braucht.
    Jetzt ziehe ich mich aus. Mein Körper scheint verändert, alles
ist verändert. Schuhe, Strümpfe, Hosen und T-Shirt landen
achtlos auf einem kleinen Haufen. Ich gehe in die Knie und
tauche eine Hand in das dunkle Wasser. Es schließt sich über
dem Handgelenk wie Quecksilber.
    Der Teich bleibt ruhig.
Ich setzt mich, strecke die Beine aus, lasse die Füße ins
Wasser baumeln, dicht unter der Oberfläche, die noch warm ist
vom kurz zuvor gefallenen Regen. Nach einer Minute schiebe
ich mich langsam nach vorn und gleite in die Schwärze.
Ich mache ein paar Schwimmzüge, dann lasse ich mich, auf
dem Rücken liegend, durch den Teich treiben. Ich sehe in die
über mir aufragenden, sich einander entgegenneigenden Wipfel
der Bäume. Wind kommt auf, fährt rauschend durch Astwerk
und Zweige und jagt Regentropfen vom Laub. Um mich herum
ertönt das leise Stakkato ihres Aufschlagens auf dem Wasser.
Kleine, sich kräuselnde Wellen scheuchen über die Oberfläche.
Ich fröstele. Ich drehe mich auf den Bauch, hole tief Luft,
schließe die Augen und lasse mich sinken. Kalt schwappt es
über meinem Kopf zusammen. Ich sinke tief, immer tiefer, doch
selbst als meine Lungen

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