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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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darum scheren würde, genauso wenig
wie um die Frage, ob diese Tochter sich so aufführen würde,
wie sie es tut, wenn er sich je hätte blicken lassen.
Arschloch.
»Deinen Nicholas«, meldet Glass sich von vorn. »Warum
bringst du ihn nicht mal mit nach Visible?«
Ich horche überrascht auf. Das klang neu. Einzulenken ist
sonst nicht ihre Art. Ich frage mich, ob es Michael zu verdanken
ist, dass sie sich so schnell versöhnlich zeigt, ob er irgendeinen
magischen Handgriff beherrscht, mit dem er ihr Temperament,
ihre stille, aber immer abwehrbereite Wut zu bezähmen weiß.
Und ich bin zu müde, um ihr Friedensangebot abzulehnen.
»Okay. Wenn er Lust dazu hat.«
Ich atme auf, als die Fahrt endlich beendet ist und Michael vor
der Polizeistation einparkt.
Wenn mir je etwas aus dieser Nacht unvergessen bleiben wird,
das weiß ich schon jetzt, dann ist es die Qualität des Lichts. Im
Krankenhaus erfüllte es die Luft als kalter, blauer Nebel; durch
die Amtsstube, die wir jetzt betreten, quält und schlingt es sich
wie ein zäher Strom gelben Wassers. Man konnte daran
ersticken.
Dianne steht, in einem ihrer erdfarbenen Kleider, vor einem
peinlich sauberen Schreibtisch. Dahinter hockt, mit gebeugtem
Rücken, ein schlaksiger junger Polizeibeamter, der gerade
versucht einen Bogen Papier in eine alte mechanische
Schreibmaschine einzuspannen. Ich erkenne ihn sofort wieder.
Es ist Assmann, der Polizist, der vor zwei Jahren wegen der
Schmierereien an der Praxis vom Gynäkologen des UFOs in
Visible aufkreuzte. Er muss sich mindestens so gut an uns
erinnern wie wir uns an ihn. Wunderbar.
Auf einem Holzstuhl sitzt das andere Mädchen, Kora. Sie
wirkt hager und müde. Ich weiß nicht, ob es Diannes eigener
Entschluss ist oder ob Assmann meine Schwester zur
Sprecherin der beiden auserkoren hat. Ich weiß auch nicht, wo
Koras Eltern stecken oder ob sie überhaupt hier auftauchen
werden. Dianne lächelt, als sie uns sieht. Assmann selbst blickt
nur kurz auf, bedeutet uns zu warten, dann spannt er das Papier
fertig in die Schreibmaschine ein und wendet sich an Dianne.
»Was habt ihr dort am Fluss gemacht?«
»Das hab ich doch schon erklärt.«
»Ich brauche es noch mal, für das Protokoll.« Assmanns Blick
klebt an seiner Schreibmaschine. Er bemerkt nicht, wie schön
Dianne ist, dass sie beim Sprechen sanft die Arme auf und ab
bewegt und wie ihre Hände dabei einander langsam umtanzen,
als bilden sie das Flammenspiel eines Feuers nach.
»Wir haben gebadet. Ist das verboten?«
»War es nicht ein bisschen zu dunkel, um zu schwimmen?«
»Es ist Vollmond.«
»Hattet ihr Badeanzüge an?«
»Wozu?«
Klack, klack-kleck… klack. Eine Type der Schreibmaschine
verhakt sich jedes Mal, wenn sie angeschlagen wird. Assmann
muss sie umständlich mit den Fingern lösen.
»Trefft ihr euch öfter, um das zu tun? Nachts zu baden?«
»Ja.«
»Wann habt ihr bemerkt, dass ihr beobachtet wurdet?«
»Gar nicht. Der Typ hat irgendwo in den Büschen gehockt
und sich einen runtergeholt.«
»Behauptest du.«
»Nein, weiß ich. Seine Hosen waren noch unten, als wir ihn
gefunden haben.«
»Wo befand sich zu dieser Zeit der Hund?«
»Woher soll ich das wissen? Es ist sein verdammter Hund.«
Dianne bewegt weiterhin ihre Hände, jetzt ist es, als wickele sie
Garn auf, die Finger flattern im Tanz. »Wahrscheinlich hat das
Vieh einfach im Schilf gehockt und seinem Herrchen beim
Wichsen zugeschaut.«
Die Blonde, Kora, kichert. Assmann hebt den Kopf, ein
einziger Blick von ihm – nicht gereizt, nicht warnend, nur ein
Blick – bringt das Mädchen zum Schweigen. Er ist nicht mehr
der unerfahrene Polizist, den ich vor zwei Jahren kennen gelernt
habe. Zumindest ist dieses nervöse Schlucken nicht mehr da, an
dem er seinerzeit in der Küche in Visible fast erstickt wäre, aber
möglicherweise liegt das nur daran, dass er sich hier in seiner
Polizeistation befindet, eine Frage des Territoriums.
Und Dianne ist nicht Dianne. So habe ich sie noch nie erlebt –
weder so selbstbewusst noch so unterschwellig aggressiv; schon
gar nicht so harsch in der Wahl ihrer Worte. Glass war, was
ihren Sprachgebrauch betrifft, nie besonders kritisch, doch von
Dianne höre ich Kraftausdrücke zum ersten Mal.
»Was ist dann passiert?«, fragt Assmann.
»Wir hörten ein Knurren. Na ja, eher so eine Art Grollen… Ich
dachte im ersten Moment, dass ein neues Gewitter aufgezogen
wäre, es hatte ja tagsüber geregnet. Dann war da ein Knacken
irgendwo

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