Andreas Steinhofel
im Gebüsch, wir kletterten aus dem Wasser – «
»Ihr wart zu diesem Zeitpunkt im Wasser?«
»Ja.«
»Wie kommt man eigentlich auf die Idee, ausgerechnet gegen
Mitternacht im Fluss zu baden?«
»Werden Sie auch den Jungen fragen, wie er auf die Idee
gekommen ist, ausgerechnet gegen Mitternacht seinen Hund
auszuführen?«
»Hast du ihm diese Frage gestellt?«
»Tut das etwas zur Sache?«
Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, dass Michael sich
nach vorn schieben will, aber Glass hält ihn am Ärmel seines
Jacketts zurück. Mag sein, dass Assmann mit seinen seltsamen
und wiederholten Fragen Dianne verwirren will, genauso gut
kann es sein, dass er lediglich einer nur ihm bekannten Logik
folgt. Dianne jedenfalls weiß sich bisher sehr gut allein zu
wehren.
»Du stiegst aus dem Fluss. Was geschah dann?«
»Der Junge fing an zu schreien, und das war gut so, sonst
hätten wir ihn gar nicht so schnell gefunden. Bis wir bei ihm
waren, hatte er den Hund schon wieder beruhigen können.
Jedenfalls hatte das Vieh inzwischen von ihm abgelassen.«
»Und er trug keine Hosen?«
»Doch, aber die waren runtergezogen. Und alles war voller
Blut. Es sieht ganz schwarz aus, wenn Mondlicht darauf fällt.«
Die Hände halten inne und Dianne schaut auf. »WusstenSie
das?«
»Ja.« Assmann blickt stur auf sein Protokoll. »Und dann?«
»Wir schleppten ihn ins Krankenhaus. War ja nicht weit. Der
dumme Köter ist abgehauen. Sie sollten ihn suchen lassen.
Vielleicht ist er auf den Geschmack gekommen.«
Klack-klack, kleck… klack, klack-klack…
»Hat der Junge etwas zu euch gesagt, unterwegs mit euch
geredet?«
»Würden Sie sich mit jemandem unterhalten, der Sie gerade
beim Onanieren erwischt hat?«
»Nein.«
»Dann haben Sie Ihre Antwort.«
Kleck.
Ich überlege, ob Dianne bewusst Glass kopiert, und wenn ja,
ob sie es lediglich tut um sie vor Michael und dem Polizisten zu
brüskieren oder um ihr zu demonstrieren, dass sie über die Jahre
hinweg gelernt hat, sich ihrer Haut zu wehren.
»Das war’s.« Assman zieht das Papier aus der Maschine und
schiebt es Dianne über den Schreibtisch zu. »Wenn du hier
unterschrieben hast, könnt ihr gehen.«
Kora erhebt sich unsicher von ihrem Platz. Dianne setzt ihren
Namen unter das Protokoll und marschiert dann schnurstracks,
ohne Assmann noch eines weiteren Blickes zu würdigen, auf die
Tür zu.
»Du solltest das erst lesen, bevor du es unterschreibst«, rät
Michael ihr, als sie an ihm vorbeigeht.
»Warum? Um die Tippfehler zu korrigieren?«
Sie schiebt sich an uns vorbei nach draußen, gefolgt von Kora.
Glass reibt sich die Stirn, dann greift sie nach dem Protokoll
und überfliegt es.
»Sie sollten besser auf Ihre Tochter aufpassen«, sagt
Assmann.
»Tatsächlich?« Ich kann fast spüren, wie Glass in Wallung
gerät. »Ihr ist doch nichts passiert, oder?«
»Es hätte ihr aber durchaus etwas passieren können. Sie haben
Ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt.«
»Wollen Sie mich dafür anzeigen?«
»Warum sollte ich?«
Michael ausgenommen, wissen wir alle, warum er sollte. Es
wäre die passende Gelegenheit zu einer Retourkutsche für den
Tag, an dem Glass ihn in Visible fast an seinen
Schluckbeschwerden ersticken ließ. Assmann könnte seine
Überlegenheit kaum besser demonstrieren als mit der
großmütigen Geste, dass er weder Glass noch die Mädchen
weiter zu behelligen gedenkt. Ich gestehe mir nur widerwillig
ein, dass sein Verhalten möglicherweise kein Zeichen von
Herablassung, sondern ebenso gut von Fairness sein könnte.
Schon die Nachtschwester im Krankenhaus hat Glass mitsamt
ihrer Aggressivität ins Leere laufen lassen. Ich bin müde.
Vielleicht kämpfen wir alle gegen Windmühlen.
Vor der Station bietet Michael Kora an, sie nach Hause zu
fahren, aber sie lehnt ab. Zum ersten Mal sehe ich sie aus der
Nähe. Sie ist weder hübsch noch hässlich. Sie gehört zu den
Bewohnern dieses großen, von unauffälligen Menschen
besiedelten Niemandslands, denen nie ein zweiter Blick
nachgeworfen wird, aber was besagt das schon. Für Dianne
gehört sie nicht zu den Kleinen Leuten, genauso wenig, wie ich
Kat zu ihnen zähle. Kora umarmt Dianne zum Abschied.
Plötzlich beneide ich dieses Mädchen. Ich weiß nicht, wann ich
Dianne das letzte Mal berührt habe.
Im Wagen versuche ich ein schwaches Grinsen, aber Dianne
sieht einfach an mir vorbei ins Leere. Während der Heimfahrt
schweigt sie. Wir alle schweigen. Ich habe das Gefühl, dass
mein Magen mit Blei
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