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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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es gar nicht viel zu verstehen«, erklärt Glass. »Es
ging mir nicht um irgendwelche Tiere, um Krabbelviecher und
all das. Es ging um… ich weiß nicht, um dieses übersteigerte
Einfühlungsvermögen, das Dianne damals hatte.«
    »Inwiefern?«
»Meine Güte, Phil, bist du blind?« Glass kurbelt das Fenster
herab, schnippt die glühende Zigarettenkippe in die Nacht
hinaus, Wind fegt ihr in die Haare. Dann kurbelt sie das Fenster
wieder zu. »Siehst du nicht, was mit solchen Menschen
passiert? Du kannst in dich hineinlauschen, oder schlimmer
noch, du lauschst allem um dich herum. Und so stolperst du
durch die Weltgeschichte, den Kopf in den Wolken, traust allem
und jedem, und dann…« Sie macht eine kurze Pause. »Dann
passieren eben Dinge.«
»Was für Dinge?«
    Schon als ich die Frage stelle, weiß ich, dass ich keine
Antwort erhalten werde. Glass wendet den Kopf ab und sieht
aus dem Fenster.
    Wir fahren an einem kleinen Trupp von sich gegenseitig
stützenden, johlenden Betrunkenen vorbei. Sie schwingen die
Arme, winken uns zu. Einer von ihnen steht an einer Hauswand,
abgestützt mit einer Hand, sein Körper zu einem lächerlichen
Fragezeichen verkrümmt, seine Hose hängt ihm in den
Kniekehlen. Urin rinnt über den Gehsteig. Eine Straßenlaterne
wirft so scharf abgegrenztes Licht auf den Mann, dass es ihn
förmlich in zwei Teile zerschneidet. Ich fröstele.
    »Wo bist du gewesen, Phil?«, fragt Glass.
Tagelang hat sie sich nicht danach erkundigt, was aus meiner
Verabredung mit dem Jungen geworden ist, für die ich sie
immerhin nachts aus dem Schlaf getrommelt hatte. Ich antworte
    ihr nur widerwillig.
»Bei meinem Freund.«
»Wie heißt er?«
»Nicholas.«
»Du hast Kat noch nicht von ihm erzählt, oder?«
Es ist das zweite Mal, dass ich heute diese Frage höre. Nur
    war ich, als Nicholas sie mir auf der Bank am Fluss stellte,
weniger angespannt als jetzt. Und auch nicht so müde.
»Wie kommst du darauf?«
»Sie hat angerufen. Wollte vorbeikommen, um sich
irgendeinen Spielfilm im Fernsehen mit dir anzuschauen.«
»Hast du ihr gesagt, wo ich bin?«
Glass bedenkt mich mit einem kurzen Blick über ihre
Schulter. »Ich habe gar nicht gewusst, wo du bist, Darling. Ich
sagte, dass du bei Tereza übernachtest.«
Ich lausche dem beruhigenden Brummen des Motors. Mein
Körper vibriert. Ich möchte bei Nicholas sein.
»Was du da tust, ist Kat gegenüber nicht fair«, sagt Glass nach
einer Weile.
»Du kennst sie doch. Sie wird so schnell eifersüchtig.« Ihr
jetzt zu sagen, dass ich mir vorgenommen habe, morgen mit Kat
über Nicholas und mich zu reden, würde wie eine billige
Ausrede klingen, wenn nicht gar wie eine Lüge.
»Sie ist deine Freundin, Phil.«
Ich beuge mich ein Stück vor. »Na und? Tereza ist deine
Freundin, und hast du ihr deshalb je von meinem Vater
erzählt?«
Mehr als ihr Profil ist von Glass vom Rücksitz aus nicht zu
sehen, doch nicht einmal dieser Anblick ist nötig, um mich
ihren absoluten Widerwillen spüren zu lassen. »Phil, ich dachte,
dieses Thema hätten wir ausreichend besprochen.«
»Besprochen? Wir haben nie etwas besprochen! Du hast
lediglich hundertmal gesagt, dass es nichts zu besprechen gibt.«
»Und genauso ist es. Ich betrachte die Diskussion als
beendet.«
»Schön, und ich betrachte sie als vertagt! Du kannst mir nicht
ewig ausweichen.«
Natürlich gibt sie keine Antwort. Ich lasse mich in den Sitz
zurücksinken. Ich habe nicht nur Glass, sondern auch mich
selbst in die Enge getrieben. Mir ist heiß, ich fühle mich
benommen. Ich wünschte, ich könnte aus dem verdammten
Wagen aussteigen. Michael hat unserem kurzen Disput nur
schweigend zugehört. Ich bin ihm dankbar, dass er nicht
versucht, die angespannte Situation durch dumme Witze zu
entschärfen, dankbar auch dafür, dass er sich unparteiisch gibt,
denn er könnte jetzt Glass berühren, ihr eine Hand reichen, den
Arm um sie legen und mich damit zum Ausgestoßenen machen.
Doch er tut nichts davon. Weiß der Teufel, was für ein Bild er
sich von uns macht. Vielleicht hält er mich für egoistisch. Es
sollte um Dianne gehen, nicht um mich oder um Nummer Drei.
Aber es geht hier auch um Dianne. Alles hängt zusammen,
irgendwo in Amerika sitzt ein mir unbekannter Mann, der keine
Ahnung davon hat, dass seine Tochter mitternächtliche
Plantschorgien veranstaltet – der nicht weiß, dass er überhaupt
eine Tochter bat, und der sich, selbst wenn er es wüsste,
vermutlich keinen Deut

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