Andreas Steinhofel
Nicholas? Mit dem berühmten Nicholas?« Kat sieht nach
links und nach rechts, als erwarte sie Hilfe von einem der
anderen Schüler oder als suche sie nach einer
Fluchtmöglichkeit. Ihre Augen sprühen Blitze. »Scheiße, Phil!
Das hättest du mir wirklich früher sagen können!«
»Ich wollte nicht unnötig die Pferde scheu machen. Ich war
mir auch selbst noch nicht sicher.«
Das ist nur die Hälfte der Wahrheit – eher weniger als die
Hälfte, und Kats Gesichtsausdruck nach zu schließen glaubt sie
mir nicht mal die. Ich lasse eine Sekunde verstreichen und hole
tief Luft. »Außerdem hatte ich Angst, du könntest denken,
Nicholas wolle mich dir wegnehmen oder so was.«
»Idiot.«
»Es tut mir Leid.«
»Hoffentlich kriegst du Pickel, du Arsch!« Sie steckt die
Hände in die Hosentaschen ihrer Jeans, sieht zu Boden, blickt
wieder auf, schüttelt den Kopf. »Mann, das muss ich erst mal
verdauen!«
Immerhin sind bis jetzt Vorwürfe des Verrats und des
Freundschaftsbruches, Tränen und Eifersuchtsnnfälle
ausgeblieben. Kein schlechtes Zeichen. Trotzdem fühle mich
nicht wohl. Ich beobachte, wie es in Kats Gesicht arbeitet, und
zucke zusammen, als neben mir wie ein Geschoss eine Kastanie
zu Boden knallt.
Kat zieht die Nase hoch. »Wie ist er so?«
»Erwartest du jetzt eine objektive Meinung?«
»Lass bloß diese blöden Gegenfragen!« Ein Zeigefinger bohrt
sich in meine Rippen. »Ich hab nicht vor, dir jedes Wort einzeln
aus der Nase zu ziehen, ich hab was bei dir gut! Also erzähl
schon. Hat er dich angemacht oder du ihn?«
Kat schenkt mir die volle Breitseite eines Grinsens.
Vermutlich sollte ich vor ihr auf die Knie fallen und sie um
Vergebung bitten. Es tut mir Leid, sie so falsch eingeschätzt
und, schlimmer noch, sie Nicholas gegenüber so falsch
dargestellt zu haben. Trotzdem fange ich klein an,
vorsichtshalber. Ich beginne mit dem Tag, als Nicholas mich in
der Bibliothek angesprochen hat, aber Kat lässt mich kaum
ausreden.
»Und ihr seid richtig ineinander verliebt? Ist es schön, ist es
kosmisch?« Sie hibbelt ausgelassen auf der Stelle herum, wie
eine durchgedrehte Ballerina auf einer Spielzeuguhr. »Werdet
ihr heiraten und Kinder kriegen? Und wer von euch beiden wird
die Mutter?«
Ich liebe sie in diesem Moment, weil sie es mir so einfach
macht und sich mit meinem Lachen als Antwort zufrieden gibt.
Und weil ich ihr so nicht sagen muss, dass zwischen Nicholas
und mir von Liebe noch nie die Rede war, dass er mich bisher
noch nicht einmal geküsst hat und wie absurd das ist, weil
meine Lippen inzwischen jeden Zoll seines Körper kennen, nur
seine Lippen nicht. Oder dass ich unter seinen Blicken und
unter seinen Berührungen an Sicherheit verliere und nicht
gewinne und mich deshalb mehr und mehr fühle, als müsste ich
einen kilometertiefen Abgrund auf einer schwankenden
Hängebrücke überqueren.
Da Kat einen ausgeprägten Spürsinn dafür besitzt, wenn
solche Gedanken mich beschäftigen, lenke ich ihre
Aufmerksamkeit auf Naheliegenderes. »Nicholas denkt, du
könntest ihn nicht leiden.«
»Blödsinn«, schnaubt Kat. »Ich kenne ihn ja kaum.«
»Das lässt sich ändern. Er müsste jede Minute hier sein.«
Sie grinst und boxt mich gegen die Schulter. »Mensch, Phil!
Und du hast wirklich gedacht, ich würde den Aufstand proben?
Wie ist er im Bett?«
Nur Kat schafft es, zwei so grundverschiedene Fragen in
einem Atemzug zu stellen.
»Im Bett?«
»Na, oder von mir aus auf dem Fußboden oder auf
irgendeinem Hocker. Wie ist er? Ich meine, ihr macht es doch
miteinander.« Plötzlich sieht sie mich aus weit aufgerissenen
Augen an. »Oder etwa nicht?«
»Natürlich machen wir es.«
»Na bitte«, murmelt sie beruhigt. »Und wie ist es?«
»Hör mal, Kat…«
»Mein Gott, nun zier dich nicht so! Ich hab dir auch alles von
mir und Thomas erzählt!«
»Nein, hast du nicht. Du hast erzählt, dass ihr genau ein Mal
miteinander im Bett wart, dass es gar nicht so übel war und du
einen klasse Orgasmus hattest.«
»Hatte ich auch«, sagt sie nüchtern. »Aber erst später, als ich
wieder allein war.«
Ihr Lachen steigt in den Himmel wie eine Silvesterrakete. Wir
gehen langsam über den Schulhof, Seite an Seite.
»Wie auch immer«, sage ich, »jedenfalls gab es keine Details,
und ich wollte auch gar keine wissen, sonst hätte ich danach
gefragt.«
»Und ich hätte sie dir gegeben.«
»Minutiös, da hege ich keine Zweifel. Aber ich will nicht
darüber reden, okay? Nicholas und ich schlafen miteinander, es
ist toll, und so viel
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