Andular III (Das Erbe der Schicksalsweber) (German Edition)
niederprasselnde Regen auf der glühenden Oberfläche augenblicklich verdampfte.
Renyan sammelte seine letzten Kraftreserven und kletterte weiter nach oben. Auf dieser Seite waren die Efeustränge dichter und verschlungener, wie ein mit Blättern bestücktes Netz, und so gelang es ihm viel schneller hinauf zu dem dunklen Schlund zu klettern, der, wie er hoffte, immer noch weit genug geöffnet war.
Als er den Teil über sich erreicht hatte, der zum Kopfbereich des Kolosses gehören musste, fiel ihm auf, dass dieser mit dem Schreien aufgehört hatte. Auch die riesigen Arme und Hände bewegten sich nicht mehr und hingen leblos an dem steinigen Torso herab. Dennoch stand er und fiel nicht in sich zusammen.
War er durch den Verlust seines feurigen Blutes etwa erstarrt? Renyan sah zu den beiden Öffnungen hinüber, aus denen wenige Minuten zuvor noch zwei glühende Augen gestarrt hatten. Nun waren sie leer und mit tiefschwarzem Ruß bedeckt. Dampf stieß in kleinen Wolken aus ihnen hervor, ausgelöst durch den Regen, der unbeeindruckt von dem ganzen Spektakel weiterhin vom Himmel herabfiel.
Der Schlund des Kolosses war zu Renyans Erleichterung noch bis zu seinen Knien geöffnet, sodass er bäuchlings auf dem Boden in die Dunkelheit hinein robben konnte. Doch wo war Avakas? Er überlegte, ob er nach ihm rufen sollte, unterließ es aber aus Furcht darüber, dass sein Geschrei den Koloss erneut wecken könnte. So beschloss er, eine Weile vor der Öffnung auf den Raben zu warten und hockte sich nieder, um auszuruhen.
Sein Mantel und Noiril hatten keinen Schaden erlitten und auch die beiden Splitter waren noch in seinem Besitz. Allerdings hatte er alle Pfeile verloren, sodass sich kein einziger mehr in seinem Köcher befand. Er dachte darüber nach, mit Hilfe des Amulettes zu springen, um die Pfeile auf dem Boden zu suchen, doch da sah er plötzlich Avakas aus der Tiefe zu ihm empor fliegen, und in seinen Krallen lag ein einzelner schwarzer Pfeil.
„Wieder einmal hast du dich als Retter in der Not erwiesen, mein Freund! Ich danke dir von ganzem Herzen!“
Der Rabe krächzte und landete vor seinen Füßen, wo er den Pfeil vorsichtig ablegte.
„Das dort scheint der einzige Eingang zu sein“, sagte Renyan, nachdem er den Pfeil an sich genommen hatte und deutete zu der Öffnung hinüber. „Wir befinden uns hundert Meter über dem Boden und genau hier liegt der einzige Weg, der uns zu Salagor führt.“
Er steckte den Pfeil in den Köcher zurück und machte sich daran, durch den Spalt in den regungslosen Kopf des Kolosses zu kriechen. Avakas hüpfte ihm hinterher und nahm ein weiteres Mal seine leuchtende Erscheinungsform an, worauf sich augenblicklich ein weißer Lichtschein auf die schwarzen Steine der Wände legte.
„Das ist ein Tunnel“, flüsterte Renyan und Avakas setzte sich flügelschlagend in Bewegung. Renyan folgte ihm, aber bereits nach wenigen Metern endete der Gang und vor ihm klaffte ein schwarzes, gähnendes Loch.
„Von nun an geht’s nur noch abwärts!“, sagte Renyan und starrte in die Finsternis hinein. „Könntest du hinunterfliegen und mir den Weg leuchten? Ich muss wissen, wie tief es da hinunter geht.“
Der Rabe erhob sich und stürzte einer Lichtkugel gleich in die Dunkelheit hinunter. Immer kleiner wurde er, bis er schließlich aus Renyans Sichtweite verschwand. Die Sekunden verstrichen wie Minuten, doch plötzlich schoss Avakas wieder hinauf, so schnell, dass Renyan befürchtete, er würde durch die Decke schießen, wenn er nicht augenblicklich an Geschwindigkeit verlieren würde. Renyan wollte gerade vom Rand des Loches zurücktreten, da drosselte Avakas sein Tempo und landete leichtfüßig auf seinem Arm.
„Ist ganz schön tief, was?“
Der Rabe krächzte bestätigend.
„Unmöglich“, murmelte Renyan und schüttelte entmutigt den Kopf. „Ohne ein Seil werd ich den Abstieg nie schaffen.“
Avakas stieß ein weiteres Krächzen aus, doch dieses klang viel kräftiger, beinahe auffordernd.
„Du willst doch nicht etwa, dass ich da runter springe…oder etwa doch?“
Der Rabe stupste ihn sachte mit dem Kopf an, dann wieder und noch einmal, gerade so, als wolle er Renyan hinab in die Tiefe treiben.
„Ist das dein Ernst? Einen Sprung werde ich niemals überleben!“
Doch Avakas ging erneut auf ihn los und schlug wie wild mit den Flügeln, begleitet von weiteren auffordernden Rufen.
„Schon gut, schon gut! Ich überleg´s mir!“ Vorsichtig trat er an das Loch heran und starrte
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