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Anemonen im Wind - Roman

Anemonen im Wind - Roman

Titel: Anemonen im Wind - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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nicht sehen Charlie wie Wang Lee«, sagte er geheimnisvoll.
    Ellie wandte den Kopf, damit er nicht sah, dass sie lächelte. Wang Lee bekam im Alter Flausen, und man musste ihn beiLaune halten. Aber einen Moment lang empfand sie Unbehagen, als sie sah, wie angespannt und wachsam Charlie auf der Veranda stand. Wang Lee hatte immer einen scharfen Blick bewiesen. Was war ihm an Charlie aufgefallen, was ihr entgangen war?
    Sie wischte die Zweifel mit einem Achselzucken beiseite; sie musste einräumen, dass sie empfindlich und ihre Urteilskraft vermutlich eingeschränkt war, wenn es um Joes Bruder ging. Er war gute Gesellschaft, und sie war gern mit ihm zusammen. Lächelnd erwiderte sie sein Winken, und dann wendete sie ihr Pferd und ritt zu den anderen, die sich zum Aufbruch bereitmachten.
    Die Jackaroos ließen die Blue Heelers aus dem Zwinger, und die Hunde stürmten zu den Reitern und bellten vor Freude über ihre Freiheit. Aurelia knallte mit der Peitsche, und sofort war es still. »Also los«, dröhnte sie.
    Staub wirbelte auf, als Pferde und Hunde auf die Weiden hinausgaloppierten, deren hohes Gras den süßen Duft des Sommers verströmte. Das Knarren des Sattelleders begleitete den Hufschlag, und das Kläffen der Hunde war beinahe zu schrill für den sanften Tagesanbruch. Ellie drosselte ihr Tempo, damit sie die Szene betrachten konnte; es war ein Anblick, von dem sie nie genug bekam. Die drahtigen Knechte saßen mit langen Beinen lässig im Sattel und führten die Kette der Packpferde hinter sich her. Jacky Jack hockte auf dem Bock des Proviantwagens, das Gesicht beinahe verborgen unter der Krempe des Hutes; die Hahnenfedern in seinem gefältelten Hutband wehten im Wind. Ein Kaltblüter zog den Wagen, und die buschigen Fesseln waren tief vergraben im üppigen Gras. Das Messing an seinem Geschirr klingelte freundlich.
    Sie winkte Charlie noch einmal zu, und dann ließ sie ihrem Pferd die Zügel schießen. Die Sonne schleuderte bereits ihre Farben in den Himmel, und der Dunst, der sich in den Baumwipfeln verfangen hatte, funkelte spinnwebzart. Ein beinaheüberwältigendes Wohlgefühl durchflutete sie, als sie losgaloppierte, um die anderen einzuholen. Es würde ein schöner Tag werden, und Joes Geist ritt an ihrer Seite.
    Im Laufe der nächsten vier Wochen wurde das Weideland sektionsweise abgearbeitet; sie sonderten die Jungbullen aus und pferchten sie über Nacht ein. Als die Herde auf über tausend Stück angewachsen war, konnte man sie nicht mehr in Pferche treiben; sie musste bewacht werden, und das bedeutete, dass Frauen und Knechte sich mit den Nachtwachen abwechseln mussten. Alle waren erschöpft. Ellie und ihre Mutter waren in der letzten Nacht an der Reihe, ehe die Herde zum Fleischmarkt getrieben wurde. Es war eine warme Nacht; der klare Himmel war von Tausenden Sternen übersät, und der Mond sah aus wie ein halbiertes Sixpence-Stück aus Silber.
    Ellie gähnte. »Wird schwer werden, wach zu bleiben«, brummte sie. »Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals so müde war.« Sie schaute über die Tausende von Rindern hinweg, die grasend im Mondschein wogten, und sie hörte einen der Boys an der anderen Flanke leise singen. Solange man die Tiere ruhig halten konnte, würde ihre Anwesenheit sie nicht erschrecken; nach den langen Tagen des Auftriebs waren sie den Anblick von Reitern und Pferden gewohnt.
    Alicia lenkte ihr Pferd an Ellies Seite. Ihre Hände ruhten leicht auf dem Sattelknauf. »Was würde ich nicht alles für ein Federbett und einen großen Whisky geben«, sagte sie. »Ich habe das Gefühl, ich habe den größten Teil meines Lebens auf diesem Pferd verbracht.«
    Ehe Ellie antworten konnte, zerriss das schrille Heulen eines Dingo die Stille. Die Rinder wurden unruhig und wachsam. Das Heulen ertönte von neuem, näher diesmal, begleitet vom Rascheln tappender Pfoten im Unterholz. Die Herde setzte sich in Bewegung, die Köpfe erschrocken gereckt; Augen schimmerten weiß im Mondlicht. Sie scheuten und rempelten einander an.
    »Rüber an die Flanken!«, zischte Ellie und wendete hastig ihr Pferd. »Sie dürfen nicht loslaufen.«
    Der Leithund der Dingo-Meute tauchte schleichend aus dem Dunkel auf, geduckt, die Nase schnuppernd erhoben. Ohne zu zögern, bewegte er sich auf einen jungen Bullen zu, der zu sehr auf das Grasen konzentriert war, als dass er bemerkt hätte, was vorging. Der Dingo musste so ausgehungert sein, dass er alle Angst längst hinter sich gelassen hatte.
    Der Bulle brüllte

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