Anemonen im Wind - Roman
Ahnung von dem, was sich auf Warratah ereignet hatte, und ich dachte, ich hätte Zeit, dich vorzubereiten.« Er schwieg lange. »Joe wollte, dass ich es dir von Angesicht zu Angesicht sage – nicht über Funk oder in einem Brief. Er wusste, was für ein Schrecken es sein würde.«
»Tag, Jack.« Die Stimme riss sie aus seinem Arm, und sie wischte sich die Tränen ab. Sie musste stark sein. Musste sich auf einen weiteren, vernichtenden Schlag gefasst machen. Aber ihr Mut hatte sie fast vollständig verlassen. Sie war auf einem Tiefpunkt angelangt.
Der Arzt war ein älterer Mann mit dichtem weißen Haar und einer Stahlbrille, die auf der Nasenspitze saß. »Er ist in schlechter Verfassung, Jack. Was zum Teufel ist passiert?«
»Ist in eine Prügelei geraten«, antwortete Jack rasch, bevor Ellie etwas sagen konnte. »Was fehlt ihm?«
Der Mund des Arztes bildete eine schmale Linie vor Abscheu. »Hat sich nicht zu prügeln, verdammt. Jetzt hat er einen Schädelbruch«, sagte er nüchtern. »Es besteht die Möglichkeit innerer Blutungen; deshalb bringe ich ihn sofort in den OP.«
»Aber er wird wieder gesund, oder?«, fragte Ellie angstvoll.
Graue Augen betrachteten sie ernst, und das Gesicht legte sich in Sorgenfalten. »Er hat Schlimmeres überstanden«, sagte der Arzt leise. »Aber nach allem andern ist das hier jetzt keine gute Nachricht. Erwarten Sie nicht zu viel. Wir tun unser Bestes hier, aber Wunder geschehen nicht so leicht.« Er machte auf dem Absatz kehrt, stieß die Fliegentür auf und war verschwunden.
Ellie folgte Snowy und Jack auf die Veranda. Der Wind wehte über die staubigen Holzdielen, und es war angenehm, nach der sengenden Hitze hier im kühlen grünen Schatten der Bäume ringsum zu sitzen und dem Gezwitscher der bunten Vögel zu lauschen. Aber Ellie war unruhig und konnte an nichts anderes denken als an das, was im Operationssaal vor sich ging. Sie wanderte auf und ab, schaute auf die breite Piste hinaus, die zur Stadt führte, schaute den farbenprächtigen Vögeln zu, die zwischen den Farnwedeln hin und her schwirrten, und bemühte sich, nicht daran zu denken, was sie täte, wenn das Schlimmste passieren und sie ihn noch einmal verlieren sollte.
»Aurelia und deine Mum werden gleich hier sein«, sagte Jack aus den Tiefen des Korbsessels, in den er sich hatte fallen lassen. »Der Vormann bringt sie her.«
Ellie nickte und ging weiter auf und ab, die Arme fest um die Taille geschlungen. Ihre Stiefel schlugen im Takt auf die Bodendielen. Ihr war es egal – und wenn ganz Queensland herkäme. Sie war eine Insel. Nichts konnte sie berühren, nichts das Eis in ihrem Herzen zum Schmelzen bringen oder die Bilder dessen wegwischen, was an diesem Tag geschehen war.
Endlich blieb sie stehen, die Hände tief in den Taschen ihrer Moleskins vergraben, und ihre Gedanken waren klar. Es gab da einige Fragen, die sie stellen musste. Sie trat zu Jack. »Seit wann weißt du, dass Joe am Leben ist?«
»Seit ungefähr einer Woche.« Er rieb sich das Gesicht. »Ich hab Snowy hier in Darwin getroffen, und er hat’s mir erzählt. Ich wollte eher zurückkommen, aber ich brauchte ein Ersatzteil für das Flugzeug und musste warten, bis es mit der Eisenbahn von Sydney heraufgebracht wurde.«
Sie wandte sich dem Aborigine zu, der am Geländerpfosten lehnte. »Du hättest schreiben können«, sagte sie tonlos. »Hättest sogar den Priester schicken können. Warum hast du das nicht getan?«
Seine bernsteinfarbenen Augen blickten auf sie herab; Niederlagen und Müdigkeit hatten sich in sein Gesicht gegraben. »Weißt du noch, wie ich dir die Traumzeit-Geschichte von dem kranken Geist erzählt habe, der wie ein Pilger reisen muss, bis er Frieden findet?« Sie nickte, und er nickte ebenfalls. »Joes Geist lag im Sterben, und seine Pilgerseele schwebte in der Dunkelheit zwischen Leben und Tod und wartete darauf, dass jemand aus dem Land der Vollkommenheit kam, um ihn zu retten. Die Geister haben zu ihm gesungen, Ellie. Haben ihn zur Ruhe gerufen. Er musste sich entscheiden, welchen Weg er nehmen wollte. Musste sehen, ob er bereit war, auf ihr Lied zu hören.«
»Komm mir nicht mit diesem Blödsinn«, fuhr sie ihn an. »Traumzeit-Märchen sind schön und gut, aber Joe brauchte mich, und ich brauchte ihn. Du hattest kein Recht, mir das zu verschweigen.«
Snowys Augen schlossen sich, und seine Nasenflügel bebten in einem tiefen Seufzer. »Das Lied, das er gehört hat, war deins, Ellie. Dein Glaube daran, dass er sein
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