Anemonen im Wind - Roman
Versprechen halten und nach Hause zurückkehren würde, war alles, was ihn im Lager daran gehindert hat, einfach zu gehen. Er wollte nicht, dass duihn siehst, wie er war, als er zurückkam. Er wollte wieder gesund sein.« Sein Blick ruhte auf ihr, brachte sie zur Ruhe, hielt sie auf der Veranda. »Er wusste nicht, dass er für vermisst und vermutlich gefallen erklärt worden war; das hat er erst lange nach unserer Befreiung erfahren. Ihm war klar, was es für dich bedeuten würde, wenn er aus heiterem Himmel auftauchte. Es war seine Entscheidung, dir diese Nachricht vorzuenthalten, bis er gesund genug wäre, um den richtigen Weg zu finden, es dir zu sagen.«
Er schwieg eine Weile und drehte sich eine Zigarette; dann zündete er sie an und inhalierte tief. Die Schatten seiner Erlebnisse beim Eisenbahnbau in Burma verdunkelten seine Augen und vertieften die Furchen zu beiden Seiten des Mundes und der breiten Nase. »Ich und Joe waren kaum noch am Leben, als wir aus diesem Höllenloch entkamen. Wir waren Skelette; Hunger, Durchfall und Malaria hatten unser Fleisch verzehrt. Wir waren nur noch Geister unserer selbst. Nackt und alles Menschlichen beraubt, waren wir zu einem Nichts geworden. Aber der Drang zu überleben ist die stärkste Waffe, die ein Mann haben kann. Selbst wenn er weniger geworden ist als eine krabbelnde Ameise, dieser Überlebenswille bleibt seine Stärke. Er hat uns durchgebracht.«
Snowy löste sich vom Verandapfosten und nahm ihre Hände. Seine Finger und Handflächen waren schwielig und rau, und Narben hatten sich wie weiße Blitze tief in die braune Haut gegraben. »Du dachtest, er wäre tot – und alles in allem gesehen war er das auch«, sagte er leise. »Joe wollte nicht, dass du ihn so siehst. Wollte dir keine Hoffnungen machen, denn sie hätten sich zerschlagen können, und du hättest zum zweiten Mal um ihn trauern müssen. Er liebt dich zu sehr.«
Ellie sank in einen Sessel, und mit einem Beben, das an Grauen grenzte, erkannte sie, wie weise Joe gehandelt hatte, als er seine Heimkehr geheim gehalten hatte. Aber das Schicksal hatte beschlossen, das Messer noch einmal in der Wunde zudrehen und sie beide noch einmal zu strafen, ehe es entschied, wie alles enden sollte. Und Ellie konnte nichts daran ändern; sie konnte nur weiter das Lied der Hoffnung singen, das Lied, das Joe in einem fernen Dschungel gehört hatte. Das Lied, das ihn nach Hause gebracht hatte.
Sie schaute Snowy lange an und versuchte sich vorzustellen, was er durchgemacht hatte und wie viel Kraft und Mut es erfordert hatte, solche Brutalität zu überleben. Sie sah, wie mager er noch war, wie grau der Kranz seines vormals braunen krausen Haars geworden war – und wie alt seine Augen nun waren. Es waren die Augen eines Mannes, der Dinge gesehen hatte, die kein Mensch sehen sollte. Die Augen eines Mannes, der erlebt hatte, wie die Hölle aussah, und der dieses Bild in sich tragen würde, bis die Erde ihn in den letzten Schlaf sänge.
Nun trafen auch die anderen ein, und sie versammelten sich in dem winzigen Wartezimmer, das an den Krankenhausbungalow angebaut worden war. Joe war seit vier oder fünf Stunden im Operationssaal, und noch immer gab es keine Nachricht. Aurelia hatte einen Korb mit Essen und vier Thermosflaschen mit heißem, süßem Tee mitgebracht, um die Stimmung zu heben. Kaltes Huhn, Hammelfleisch und dicke Stücke Fladenbrot, großzügig mit Chutney bestrichen, wurden herumgereicht, und sie aßen schweigend.
»Du musst etwas essen«, sagte Aurelia leise zu Ellie. »Es ist nicht gut für dich oder das Baby, wenn du hungerst. Und du musst was im Magen haben, um den Schock des heutigen Tages zu verarbeiten.«
Ellie erwachte aus ihrem tranceähnlichen Zustand und schaute ihre Tante mit schreckgeweiteten Augen an. Das Baby hatte sie vollkommen vergessen. Sie hatte vergessen, was es für die Zukunft bedeutete, die sie mit Joe haben könnte, wenn er erfuhr, welche Folgen die Vergewaltigung durch Charlie hatte. Charlies Name hallte in ihrem Kopf wider, und ihre Lage standihr mit grausamer Klarheit vor Augen. Sie merkte, dass vier Augenpaare sie besorgt anschauten, und das Blut wich ihr aus dem Gesicht, als sie erkannte, dass sie niemals von Joe erwarten konnte, dass er den Bastard des eigenen Bruders annahm.
Was für ein hässlicher Name für ein Kind, das noch nicht geboren war! Welch ein Vermächtnis hatte Charlie ihr da hinterlassen – in Gestalt eines hilflosen Kindes, das aus einem schlechten Samenkorn
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