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Anemonen im Wind - Roman

Anemonen im Wind - Roman

Titel: Anemonen im Wind - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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feststellte. Nicht im klassischen Sinne – manche hätten ihn sogar hässlich gefunden mit seinen unregelmäßigen Zügen. Aber die schlanke Gestalt und das intelligente Gesicht zeugten von Vitalität, und die humorvollen Augen und der sinnliche Mund besaßen eine gefährliche Anziehungskraft. Er schaute sie an, als er näher kam, und das Funkeln in seinem Blick schuf ein verschwörerisches Einverständnis zwischen ihnen.
    Sie nahm sich zusammen und ließ sich die Papiere geben, die er mitgebracht hatte. Zwischen ihnen konnte es niemals etwas geben, und sie hatte nicht die Absicht, dem Tratsch, der im Funk unablässig hin und her ging, noch Nahrung zu geben. Mit fünfzig war sie viel zu alt und in ihren Gewohnheiten viel zu eingefahren, als dass sie sich von einem Gauner mit lachenden Augen den Kopf verdrehen lassen konnte.
    Nachdem sie die Unterlagen überflogen hatte, reichte sie sie ihrer Schwester. Alicia las die engzeilig beschriebenen Bogen mit der Genauigkeit einer Kurzsichtigen. Die Eitelkeit verbot ihr zuzugeben, dass sie eine Brille brauchte. »Muss ich irgendwo unterschreiben?«, fragte sie ganz ohne den gewohnten Elan.
    Aurelia deutete auf die entsprechende Stelle, und Alicia unterschrieb mit einem Schnörkel. »So«, sagte sie, und eine einzelneTräne glitzerte an ihren langen Wimpern. »Jetzt ist Elspeth in deinen Händen. Gib acht auf sie, und sag ihr, ich werde immer an sie denken.«
    Aurelia nickte. Es war eine ziemlich gute Vorstellung. Trotz ihres feinen Urteils war sie nicht sicher, ob es Schauspielerei oder Wirklichkeit war. Aber sie musste ihrer Schwester zugute halten, dass sie anscheinend wirklich selbst glaubte, dass sie immer an ihre Tochter denken würde. »Sie hat hier ein Zuhause, solange sie es will«, sagte sie mit zugeschnürter Kehle.
    Dann drehten sich die Propeller, und als das kleine Flugzeug die Rollbahn entlangholperte, wusste Aurelia, dass es um Ellies willen richtig war, wenn Alicia fortging. Vielleicht würde Alicia eines Tages begreifen, was sie verloren hatte.
    Trotz der Reifenpanne war Claire gut vorangekommen, nachdem sie Sydney fünf Tage zuvor verlassen hatte. Klappernd und maulend trug ihr Bus sie nach Norden, während ihre Gedanken durch die letzten fünf Jahre und zu dem Mann wanderten, den sie zu lieben geglaubt hatte. Er hatte bekommen, was er wollte, und dann hatte er sie wegen einer anderen abgelegt. In gewisser Weise, das musste sie zugeben, hatte er ihr einen Gefallen getan, denn danach hatte Claire sich intensiver auf ihre Arbeit konzentriert, und die Ergebnisse waren besser, als sie es sich selbst je hätte vorstellen können.
    Sie lächelte bei dem Gedanken an Tante Aurelias bärbeißige Weisheit. »Männer sind ganz in Ordnung, da, wo sie hingehören, Schätzchen«, hatte sie gesagt. »Solange man ihnen nur zeigt, wo sie hingehören. Du hast nur ein Leben. Lebe es für dich und nicht durch einen Mann.« Aurelia war eine Frau mit Ideen, die ihrer Zeit weit voraus waren, und wenn Claire auch nicht wusste, ob sie ihr von ganzem Herzen zustimmen sollte, bewunderte sie das alte Mädchen und hätte ihr im Traum nicht widersprochen. Aber trotz ihrer Sehnsucht nach Gleichberechtigung und Karriere wusste Claire tief in ihrem Innern, dass sie eines Tages einen Ehemann und Kinder haben wollte und eine Ehe, die so stark und liebevoll war wie die ihrer Eltern.
    Das staubige Teerband schlängelte sich endlos durch das Herz des Outback von Queensland. Im Rückspiegel bot sich das gleiche Bild wie durch die Frontscheibe. Gelbes Gras kräuselte sich im heißen Wind unter einem endlosen blauen Himmel. Dunkelrote Einschnitte zeigten sich am Straßenrand, wo der Teer an die Erde stieß. Einsame Bäume standen Wache auf einer verlassenen Ebene. Die Hitze flimmerte am Horizont, und ein Keilschwanzadler schwebte in der Thermik über riesigen Termitenhaufen und Büscheln von silbernem Spinnifex. Verglichen mit den Blue Mountains war es hier kahl und trocken, und dennoch musste Claire zugeben, dass das Land eine eigene Erhabenheit hatte, eine eigene, zeitlose Schönheit.
    Claires Gedanken wanderten zu ihrer Mutter. Sie hatte die Geschichte schon oft gehört, aber erst jetzt, da sie bequem auf derselben Straße dahinfuhr, erkannte sie das ganze Ausmaß der Leistung, die ihre Mutter tapfer erbracht hatte. Sie versuchte sich vorzustellen, wie ein Kind sich gefühlt haben mochte, allein und voller Angst, das einsame Grab des Vaters weit hinter sich, eine Wanderschaft von endlosen

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