Anemonen im Wind - Roman
Männerblieben Männer, und manche Mädchen würden sich immer willig zeigen.
Aurelia sah zu, wie Jessie mit dem Herd kämpfte. Dann ließ sie sie allein und spazierte in die Diele. Sie war lang und schmal und reichte mitten durch das Haus von der Küche bis zur Haustür und zur Veranda. Auf der rechten Seite führten zwei Türen in Schlafzimmer, und auf der linken lag ein Wohnzimmer, das sich ebenfalls von der Vorder- bis zur Rückseite des Hauses erstreckte. Das Farmhaus war kleiner als das von Ellie, denn es hatte keine Kinder beherbergt, bis sie gekommen war.
Aurelia ging ins Wohnzimmer. Es war ein gutes Zimmer, stets anheimelnd, denn die gleißende Sonne wurde hier durch das Laub der Pfefferbäume vor den Fenstern gedämpft. Antikes Silber glänzte warm auf glänzenden dunklen Eichenholzmöbeln. An den Holzwänden hingen wertvolle Ölgemälde; in einer viktorianischen Vitrine standen zierliche Figurinen, und funkelnde Kristallvasen und Karaffen warfen bunte Regenbogen an die weiß gestrichene Decke. Auf dem massiven Sims über dem Backsteinkamin stand eine vergoldete antike Uhr, die, eingefasst von zwei ziemlich selbstzufriedenen Cherubim, feierlich tickte. Und aus einem Wust von Rechnungen, Postkarten und Briefen ragte eine Anzahl goldener Kerzenleuchter mit uralten Kerzenstummeln, auf denen sich Staub und Spinnweben gesammelt hatten.
Ungeduldig schnalzend wischte sie Aurelia mit einem Taschentuch sauber. Sosehr sie dieses prachtvolle Land liebte, die Australier waren ein Volk, das sie zur Raserei treiben konnte wie kein anderes, mit dem sie je zu tun gehabt hatte. Ihre übermäßige Vertraulichkeit und ihr unbekümmertes Verhalten konnten die Geduld einer Heiligen auf die Probe stellen – und wenngleich sie bereitwillig eingeräumt hätte, dass Heiligmäßigkeit nicht zu ihren starken Seiten gehörte, wünschte sie doch, die Australier würden sich ein bisschen mehr zusammennehmen. Eine Zeit imInternat und ein paar Winter in einem zugigen englischen Landhaus, das würde sie schon auf Vordermann bringen – so war es ihr ja selbst ergangen.
Aurelia schüttelte den Staub aus ihrem Taschentuch und stopfte es wieder in die Tasche, während sie das Foto von Claire betrachtete. Sie hatte nie dazu geneigt, einer Verantwortung aus dem Weg zu gehen, und sie fragte sich jetzt, ob es vielleicht ein Fehler gewesen war, das Mädchen zur Heimkehr zu zwingen. Aber es gab Dinge, die in Ordnung gebracht werden mussten, ehe es zu spät war, und jemand musste den ersten Schritt tun. Nicht, dass irgendjemand viel tun könnte, dachte sie. Sie ließ sich in ihren Sessel sinken und griff nach ihrer Pfeife. Die Saat der bevorstehenden Katastrophe war vor vielen Jahren ausgebracht worden, und nun müsste die nächste Generation diese besonders bittere Ernte einfahren.
Die Pfeife half Aurelia, die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken, und deshalb weigerte sie sich gegen den Rat ihres Arztes, das Rauchen aufzugeben. Sie stopfte sie mit ihrem Lieblingstabak und nahm sich Zeit mit dem Anzünden. Dann genoss sie den schweren Duft, der sie noch nach all den Jahren an die schottischen Highlands mit ihrer Heide erinnerte, wo ihr Vater sie und Alicia als Kinder auf die Moorhuhnjagd mitgenommen hatte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie noch immer die grünen Hügel, das weiche Heidekraut und die hübschen Steinmauern der Kleinbauernkaten.
Der Pfeifenrauch wehte zur Decke. Aurelia lehnte sich zurück und schloss die Augen. Es war eine Überraschung gewesen, als ihr vor Jahren bewusst geworden war, wie sehr sie dieses Land hier liebte und wie sehr sie Warratah vermissen würde, wenn man es ihr nehmen würde. Es hatte auch eine Zeit gegeben, da hatte sie mit dem Schicksal gehadert, das sie zur kinderlosen Witwe gemacht hatte und sie allein gegen die Elemente und die seltsamen Gebräuche dieses kolonialen Vorpostens hatte kämpfen lassen. Dann war Ellie in ihr Leben getreten, und sie, Aurelia, hatte eine zweite Chance gehabt, ihre Verpflichtung gegenüber Warratah zu bestätigen, eine Verpflichtung, die sie nie bereut hatte, eine Verpflichtung, die Ellie gern übernommen hatte.
»Eines Tages zündest du dich noch selbst an«, sagte eine Stimme in der Tür.
Aurelias Augen klappten auf, und hastig strich sie sich glühende Tabakasche vom Revers. »Ellie«, sagte sie. »Ich habe gerade an dich gedacht.«
Sie küssten einander, und Ellie ließ sich in den anderen Sessel fallen. »Hast wohl eher deine Augenlider von innen beguckt«,
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