Anemonen im Wind - Roman
Universität bin ich fertig.«
Lila strahlte. »Mum und Dad müssen stolz auf dich sein. Muss man sich mal vorstellen – noch ein Tierarzt in der Familie!« Sie lachte herzlich. »Vermute, damit spart ihr ein paar Pennys. Nicht, dass es drauf ankäme bei all den Kastanien, die deine Eltern so im Feuer haben.«
»Frühstück …?«, fragte Claire hoffnungsvoll. Sie redete nicht gern über den Reichtum der Familie und vermied es deshalb nach Möglichkeit. Angeberei weckte Stirnrunzeln, hier wie in der Großstadt, das entsprach der australischen Lebensart. Man konnte so erfolgreich sein, wie man wollte, aber man sprach nicht darüber.
»Aber sicher. Und ich hab ’ne Überraschung für dich. Komm mit nach hinten.«
Rundliche Finger umfassten Claires Arm und schleiften sie beinahe in den Speiseraum. Er war kühl und durch das Licht, das, gefiltert durch die Kiefern an der Rückseite des Hauses, hineinflutete, in ein grünes Halbdunkel getaucht. Es gab mehrere Tische mit karierten Tischtüchern, die zu den Vorhängen passten. Vasen mit Kunststoffblumen standen darauf, neben Gewürzgläschen und Flaschen mit roter Sauce. An den Wänden hingen bunte Poster mit Motiven von tropischen Stränden. Nur an einem Tisch saß jemand und aß.
»Matt«, rief die Frau, »hier kommt jemand, den musst du unbedingt kennen lernen.«
Claire rückte ihre Schultertasche zurecht. Sie hatte gehofft, hier in Frieden essen zu können, um sich auf die Ankunft inWarratah vorzubereiten, aber das interessierte Lila offensichtlich nicht.
»Matt Derwent. Claire Pearson.« Lila trat einen Schritt zurück, nachdem sie die beiden miteinander bekannt gemacht hatte. Sie verschränkte die Hände vor dem Bauch, und ihre Augen funkelten.
Matt Derwent war groß. Drahtig wie ein Windhund, hätte ihr Vater vielleicht gesagt. Er schien die Farben des Outback angenommen und mit ihnen eins geworden zu sein. Von seinem strohblonden Haarschopf und dem rotbraunen Gesicht bis hinunter zu den mit ockerfarbener Erde bespritzten Stiefeln und Moleskin-Hosen war er offensichtlich ein Mann, der im Freien zu Hause war. Seine große Pranke verschlang ihre Hand, und sie stellte fest, dass sie aufblicken musste, um in seine nussbraunen Augen zu schauen. Das war ungewöhnlich, und Claire merkte, dass es ihr gefiel, sich ausnahmsweise klein zu fühlen.
»Tag«, sagte er gedehnt. »Hab gehört, dass Sie zurückkommen.« Er lächelte und zeigte dabei ebenmäßige weiße Zähne und spinnwebzarte Fältchen an den Augenwinkeln.
»Matt ist auch Tierarzt«, sagte Lila im Verschwörerton.
Claire hatte Mühe, das Kichern zu unterdrücken, als sie und Matt einen Blick wechselten. »Sie müssen neu hier sein«, brachte sie hervor. »Ich kann mich nicht erinnern, Sie auf Warratah schon gesehen zu haben.«
»Hab letztes Jahr angefangen«, sagte er, bevor er sich wieder ihrem Ein-Personen-Publikum zuwandte. »Schätze, wir könnten beide einen Kaffee vertragen, Lila.«
»Bin schon dabei«, sagte Lila fröhlich. Geschäftig räumte sie Matts schmutziges Geschirr ab und deckte einen zweiten Platz ein. »Ihr zwei jungen Dinger habt euch sicher jede Menge zu erzählen. Also lasse ich euch jetzt mal allein. Frühstück kommt gleich, Claire.« Sie huschte davon und stieß die Schwingtür zur Küche auf.
Matt zog eine braune Braue hoch. »Junge Dinger?«, wiederholte er mit humorvollem Zwinkern.
Claire setzte sich kichernd. »Ich glaube, Lila betätigt sich gern als Heiratsvermittlerin«, tuschelte sie. Sie holte ihre Zigaretten aus der Tasche und bot ihm eine an. »Machen Sie sich nichts draus.«
Er blies den Rauch von sich und lachte. »Macht mir nichts«, sagte er. »Im Gegenteil.«
Sie musterte ihn durch den Rauch und erwiderte sein Lächeln. »Ich nehme an, dies ist der Moment, in dem ich sagen sollte, Sie sehen keinen Tag älter aus als fünfundzwanzig?«
Er nahm einen Schluck Kaffee. »Schon möglich, aber das wäre gelogen«, antwortete er. »Ich werde achtunddreißig, und allmählich spüre ich es auch, wenn man mich nachts rausruft.« Mit wehmütigem Grinsen streckte er ein langes Bein in den Gang zwischen den Tischen. »Die Knie sind kaputt vom Rugby an der Uni, und wenn es kalt ist, knarren sie wie rostige Türangeln.«
Lila erschien durch die Schwingtür und schenkte fröhlich Kaffee nach, während die beiden über ihren Beruf schwatzten. »Ich wusste, dass ihr beide viel gemeinsam habt«, erklärte sie begeistert. »Schön zu sehen, dass ihr euch gut
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