Angeklagt - Dr. Bruckner
leichtfertig gemeint, daß es nichts ausmache, wenn sie etwas später käme, aber sie wußte, daß man in der Bergmann-Klinik auf Pünktlichkeit großen Wert legte. Und da sie ihre Doktorarbeit bei Professor Bergmann machte, wollte sie sich nicht die Mißbilligung des alten Klinikchefs zuziehen.
»Ich bringe dich in die Klinik«, rief er ihr durch die Tür zu. »Dann schaffst du es bestimmt, auf die Minute dazusein.«
Sie stellte sich unter die Dusche und ließ das warme Wasser über ihren Körper laufen. Es war wunderbar, so umhegt und umpflegt zu werden. Sie hatte so etwas noch nie erlebt. Am liebsten wäre sie aus dem Bad hinausgelaufen, hätte ihre Arme um Peter geschlungen und ihn an sich gedrückt, hätte ihm noch einmal gesagt, daß sie ihn von ganzem Herzen liebe.
Sie hörte eine Tür klappen. Anscheinend hatte er die Wohnung verlassen. Sie trocknete sich ab, kleidete sich rasch an und öffnete die Tür. Da kam er zurück. »Ich habe nur den Wagen aus der Garage geholt«, erklärte er. »Wir können gleich losfahren. Bist du fertig?«
»Ja …« Sie warf sich an seinen Hals und schaute ihn strahlend an. »Du bist so gut!«
Der schnittige kleine Sportwagen stand vor dem Haus. Peter half ihr beim Einsteigen. Kaum saß sie und hatte sich angeschnallt, da fuhr er auch schon los wie ein übermütiger Junge, der seiner Freundin seinen Wagen vorführen will.
»Nicht so schnell«, bat sie und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Du machst mir Angst.«
Er lächelte sie an. Als sie an einer roten Ampel halten mußten, zog er sie an sich und küßte sie. Erschrocken ließ er sie los, als hinter ihm ein Hupen ertönte und der Fahrer des Wagens ihn darauf aufmerksam machte, daß die Ampel bereits auf Grün übergesprungen war.
Vor der Bergmann-Klinik stieg sie aus und gab ihm die Hand. »Ich danke dir.«
»Wann sehen wir uns wieder?« Er hielt ihre Hand noch fest.
»Heute Abend habe ich frei.«
»Heute Abend. Ich werde dich hier abholen.«
»Es macht dir nichts aus?«
Er schüttelte den Kopf. »Gestern glaubte ich noch, daß ich nie wieder zu dieser Klinik zurückkehren würde. Aber ich besuche ja nicht die Klinik – ich hole dich ab!«
Seine Worte klangen bitter. Sein Gesicht hatte wieder den kalten Zug angenommen, vor dem sich Barbara fürchtete. »Ich kann auch gleich zu dir kommen. Ich glaube, es gibt eine Straßenbahn, die ohne Umsteigen bis zu deinem Haus fährt.«
»Du brauchst keine Straßenbahn zu nehmen. Du wirst gefahren. Aber nun mach, daß du in die Klinik kommst. Wann soll ich heute Abend hier sein?«
»Das kann ich dir jetzt noch nicht sagen. Ich kenne den Dienstplan nicht auswendig. Ich werde dich anrufen und dir Bescheid sagen.«
»Tu das; bis heute Abend!« Er zog sie noch einmal an sich, küßte sie auf die Stirn, auf den Mund, und wollte sie gar nicht mehr loslassen. Barbara mußte sich fast mit Gewalt von ihm freimachen. Sie schämte sich ein wenig, als sie an dem grinsenden Pförtner vorbeiging, der die Szene beobachtet hatte und sie mit einem sarkastischen »Guten Morgen, Fräulein Doktor«, begrüßte.
Sie erwiderte verlegen seinen Gruß und betrat die Chirurgische Klinik.
Als sie auf den Fahrstuhl wartete, flog ihr durch den Sinn, daß Peter vielleicht gar nicht sie liebte. Vielleicht war sie ihm nichts weiter als ein Ersatz für die Frau, die aus seinem Leben geschieden war: seine Mutter?
Einen Augenblick lang stieg Bitterkeit in ihr auf. Doch da kam schon der Fahrstuhl, sie öffnete die Tür, stieg ein und drückte auf den Knopf, der sie in Dr. Bruckners Abteilung brachte.
6
»Die Hetzkampagne geht weiter!« Dr. Johann Heidmann betrat das Dienstzimmer und warf ein Bündel Zeitungen auf den Tisch.
»Jetzt schließen sich andere Gazetten auch noch an. Hier –«, er öffnete mehrere Zeitungen und deutete auf entsprechende Berichte, die er rot angestrichen hatte, »das Ganze scheint jetzt über eine Agentur zu laufen. Man will Sie fertigmachen, Herr Dr. Bruckner!«
Thomas Bruckner saß hinter dem Schreibtisch. Er behielt seine eiskalte Pfeife im Mund, sah eine Zeitung nach der anderen durch und las die Texte sorgfältig. »Wenn das so weitergeht, kann ich meinen Beruf an den Nagel hängen.«
»Dann werden Sie am besten Journalist«, versuchte Dr. Heidmann einen Scherz zu machen. Aber er sprach nicht weiter, als er den leidenden Ausdruck auf Dr. Bruckners Gesicht sah. Er ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht
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