Angeklagt - Dr. Bruckner
Kollegen Wagner schließlich Oberwasser zu geben! Der wartet doch nur darauf. Ich würde mich nicht wundern, wenn er es wäre, der in die Glut hineinbläst, um sie noch mehr anzufachen.«
Dr. Bruckner schüttelte den Kopf. »Man mag viel Schlechtes von dem Kollegen Wagner denken, aber so etwas würde er bestimmt nicht tun. Also gut –«, Dr. Bruckner klopfte seine Pfeife im Aschenbecher aus, stand auf und ging zur Tür, »gehen wir durch! Vielleicht –«, mit einem schmerzlichen Lächeln schaute er Schwester Angelika an, »ist es meine letzte Visite.«
Bevor die Schwester noch etwas sagen konnte, hatte er schon die Tür geöffnet und stand auf dem Flur. Die Stationsschwester nahm den Stapel Krankengeschichten vom Tisch, lud ihn sich auf den Arm und folgte Dr. Bruckner, der mit Dr. Heidmann bereits vor der Tür des ersten Krankenzimmers stand. »Ich fange bei dem Patienten an, den ich zuletzt operiert habe.«
»Da ist seine Tochter zu Besuch«, erklärte Schwester Angelika. Es hörte sich an, als wollte sie den Oberarzt warnen.
»Seine Tochter?« Dr. Bruckner nahm die Hand wieder von der Klinke, aber dann riß er sich zusammen. »Nun gut – warum sollte ich nicht mit der Tochter sprechen?« Er öffnete die Tür und trat ein.
Neben dem Bett saß eine schwarzgekleidete Frau. Schwester Angelika ging auf sie zu. »Herr Oberarzt möchte Visite machen. Würden Sie einen Augenblick hinausgehen?«
Die Augen der Besucherin ruhten mißtrauisch auf Dr. Bruckner. »Sie haben meinen Vater operiert?«
»Ja, wir hatten bereits einmal miteinander telefoniert.«
Die Blicke der Tochter, einer Frau Baum, glitten mißtrauisch zwischen Schwester Angelika und den beiden Ärzten hin und her. »Warum darf ich nicht bei der Visite dabeibleiben?« Sie stellte sich wieder neben das Bett, legte ihrem Vater die Hand auf den Kopf. »Ich habe mir extra freigenommen.«
Dr. Bruckner trat an das Bett. Er beugte sich über den Kranken, der zu ihm aufschaute. »Wie geht es Ihnen heute?«
»Recht gut! Der geblähte Leib ist weg. Ich fühle mich wesentlich besser.«
»Das war auch der Zweck des Eingriffes. Sie werden jetzt wieder alles essen können, und dann erholen Sie sich. Sie werden sehen, daß es jetzt sehr rasch gehen wird.«
Er nickte Frau Baum zu, die sich wie schützend neben ihren Vater gestellt hatte, als wollte sie verhindern, daß der Oberarzt ihm etwas antäte.
An der Tür blieb Dr. Bruckner noch einen Augenblick stehen und schaute zurück. Es sah aus, als ob er etwas sagen wollte, aber dann verließ er achselzuckend das Krankenzimmer. Dr. Heidmann folgte ihm. Schwester Angelika schloß die Tür hinter ihnen.
Nach der Visite ging Dr. Bruckner in sein Zimmer. Schwester Angelika war mit Dr. Heidmann im Dienstzimmer allein.
»Dr. Bruckner hat es ganz gewaltig mitgenommen.« Schwester Angelika räumte die Krankengeschichten, die auf dem Schreibtisch lagen, in das Schubfach.
»Es ist ja auch kein Wunder«, warf Dr. Heidmann ein. »Die Presse kann schon Schreckliches anrichten. Da spricht man immer vom mündigen Bürger, aber der größte Teil von ihnen hat keine eigene Meinung. Er holt sie sich aus der Zeitung.«
»Das hat Dr. Bruckner immer gesagt! Er erzählte immer die Geschichte einer Dame, die sich eine Theateraufführung angesehen hatte. Als man sie fragte, wie sie ihr gefallen habe, antwortete sie, daß sie das noch nicht sagen könne, weil sie die Kritik in der Zeitung noch nicht gelesen habe.«
Der Abend war hereingebrochen. Barbara Pellenz hatte ihre Arbeit auf Station beendet. Als sie über den Flur ging, kam ihr der Pfleger Siegfried Buhmann entgegen. Sie beschleunigte ihre Schritte, um rasch an ihm vorbeizukommen. Sie hatte einen Widerwillen gegen ihn und fühlte sich in seiner Gegenwart unwohl. Aber der dicke Pfleger beschleunigte seine Schritte und holte sie ein. »Sie gehen aus?« fragte er sie und sah sie mit verwässerten Augen an.
»Ja, das sehen Sie doch. Kann ich etwas für Sie tun?« Sie versuchte, ihn rasch loszuwerden, aber er ließ sich nicht abschütteln.
»Ja –«, er grinste, »wollen wir nicht einmal abends zusammen ausgehen? Ich würde Sie gern einladen? Oder«, seine Augen wurden zu kleinen Schlitzen, »lehnen Sie es als angehende Ärztin ab, sich mit einem kleinen Pfleger einzulassen?«
»Ich lasse mich mit niemand ein!« Ihre Stimme klang ärgerlich. Sie schaute auf die Uhr. Wahrscheinlich wartete Peter jetzt schon. Sie mußte versuchen, diesen unangenehmen Menschen loszuwerden, ohne
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