Angel 01 - Die Engel
an die Uniform gewöhnt und war enttäuscht, dass ihr Sohn seine Ankunft nicht länger mit der Sirene ankündigte. Aber bei seinen Sondereinsätzen war er meistens incognito.
Nach der Uniform kehrte Stan zum Londoner Look zurück: penibel kurzer Haarschnitt, Scheitel nach links, klarer Haaransatz in ausrasiertem Nacken; keine Koteletten, kein Schnurrbart, sondern glatt rasiert; elegante Anzüge mit Schulterpolstern, einfarbige Hemden und Krawatten mit Windsorknoten; tagsüber silberne Manschettenknöpfe, abends goldene; teure Uhr an der Kette; goldener Siegelring am Zeigefinger der rechten Hand; gute, italienische Lederschuhe, nichts zu Auffälliges, normalerweise braun; schlichte Socken. Ein sauberer, harter Look. Einschüchternd, wenn man ein verkommener kleiner Penner aus einer der Hochhaussiedlungen war wie der, in der Stan aufgewachsen war. Stan war, wie die meisten seines Kalibers, über Nacht von umgedrehten Baseballcaps, überlangen Jeans und Wolljacken zu dem übergangen, was er nun trug und auch noch weiter tragen würde, bis er in die Fünfziger kam.
Am Tag, nachdem die Themse ihr Blut losgeworden war, stand Stan Gates im Princess Louise an der Bar, trank sein Pint und dachte über seine aktuellen Pflichten nach. Erst war er enttäuscht gewesen, dass er den kleinen, kahlköpfigen Cop abbekommen hatte. Der andere hatte groß, fies und effizient gewirkt – genau die Art von Kerl, mit denen Stan gerne zusammenarbeitete. Aber Dannys Reaktion auf den Dämon in der Oxford Street hatte Stan beeindruckt. Schnell, sauber und ohne jedes Zögern oder eine Spur von Angst. An diesem Nachmittag hatte sich Stans Meinung über Danny geändert. Den anderen, Dave, bewunderte er zwar immer noch, aber jetzt war ihm klar, warum sich Dave Danny als Partner ausgesucht hatte.
» Bitte noch eins, Jim«, sagte Stan und knallte sein Glas auf den Tresen.
» Kommt sofort, Stan«, erwiderte der Barmann.
Ein Mann neben Stan fragte: » Arbeitest du gerade an einem großen Fall, Stan?«
Er drehte sich um und entdeckte Willy Prebble, den örtlichen Schlosser.
» Was heißt hier › gerade‹? Ich arbeite immer, Willy, das weißt du doch. Zurzeit fahre ich einen Yankee durch die Gegend – Polizist wie ich, aus San Francisco. Er macht äußerlich nicht viel her, aber er hat es hier.« Stan tippte sich an die Schläfe.
» Und was macht ihr? Auf der Jagd nach jemandem?«
» Das hängt alles mit Holy Mick zusammen«, erklärte Stan und nickte in die Richtung des Leuchtens, das die meisten Einheimischen für den Erzengel Michael hielten. » Da gibt es einen, der gegen ihn arbeitet und dem man eine Portion Gerechtigkeit verabreichen muss. Und eins sage ich dir, Willy: Ich werde derjenige sein, der sie ihm serviert.«
Stan klopfte vielsagend auf sein Schulterholster und stellte zufrieden fest, dass sich Willys Augen weiteten.
» Du wirst jemanden kaltmachen?«
» Nicht jemanden, sondern etwas«, korrigierte Stan.
» Ein Tier?«
» Könnte man sagen«, erwiderte Stan, der der Meinung war, jetzt genug verraten zu haben. Willys Klappe war so groß wie Avonmouth, und bis morgen früh würde es ganz Holborn wissen. Aber was konnte das schon schaden? Es war schließlich kein Geheimnis, dass sie hinter einem Höllenwesen namens Manovitch her waren.
16
E s war fast zwei Monate her, dass Lloyd Smith etwas von seinem Neffen Holden Xavier gehört hatte. Natürlich war Xavier nicht Holdens richtiger Name – Holden übrigens auch nicht –, aber Lloyd hatte es schon lange aufgegeben, sich über die Eskapaden seines Neffen aufzuregen. Holden und seine Leidenschaft für das Fotografieren waren ihm ein Rätsel, aber Lloyd akzeptierte seinen Neffen einfach so, wie er war. Er liebte den Jungen, wie er seinen eigenen Sohn geliebt hätte, wenn er und Emily jemals Kinder bekommen hätten. Zu ihrer beider Unglück war Lloyd unfruchtbar, und so hatte er, bis Holden nach England gekommen war, nicht gewusst, was es bedeutete, sich um einen jungen Menschen zu kümmern, ihn zu verstehen und schließlich sogar zu lieben.
Holden, fünfundzwanzig Jahre jung, groß, schlank, blond, gut aussehend und ein hervorragender Koch, hatte ein ausgezeichnetes Gespür für Kunst und Ästhetik, verdiente gutes Geld, war kultiviert und amüsant. Lloyd vermisste ihn, wenn der Junge sich eine Zeit lang nicht meldete, und sehnte sich nach ihren Gesprächen über Poesie, Musik oder bildende Kunst. Vor allem vermisste er Holdens leichten Akzent und seine entwaffnende
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