Angel 01 - Die Engel
gesteckt, das war mal sicher.
Als er die Absperrung erreichte, blieb Dave stehen, lehnte sich auf die Barriere und starrte in die blendend weiße Helligkeit. Diese strahlende Kuppel verwirrte das Bewusstsein genauso wie die Augen. Sie hatte eine einzigartige Reinheit an sich. Er fühlte sich wie ein Wanderer in unerschlossenem Gebiet, der plötzlich auf einen zauberhaften Wasserfall stößt, der so rein, klar und unberührt ist, dass er direkt dem Mund des Schöpfers entspringen musste.
Irgendetwas in dieser Kuppel berührte Dave. Neben dem überwältigten Staunen spürte er ein Gefühl von Wärme und Sicherheit. Dieses Licht, dieses Leuchten von einem Glühwürmchen Gottes, war natürlich gar nichts, wenn man es mit dem Licht im Zentrum des Universums verglich, dem Licht des Schöpfers selbst. Es war wie eine Kerzenflamme im Vergleich zur Sonne. Und doch hatte es diese Sonne gestreift und war von dieser Sonne gesegnet, und der Frieden, der sich darauf übertragen hatte, war so deutlich, dass ein einfacher Cop aus San Francisco ihn spüren und sich darüber wundern konnte.
Dave stand lange da, starrte in die Kuppel und nahm ihre Ruhe in sich auf.
Als er zum Hotel zurückging, nahm er zum ersten Mal bewusst die Londoner Architektur um sich herum wahr. Er bekam langsam ein Gefühl für London als Ganzes. Es war eine wilde Mischung aus Stilrichtungen und Epochen. Farblose moderne Bürobauten standen direkt neben wundervollen Gebäuden aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ägyptische Obelisken, Bronzelöwen, großartige Paläste, kleine Eckläden, wuchtige, von Säulengängen eingerahmte Museen, winzige Zeitungsstände. Es gab schmutzige Gassen wie in Wild Court, wo vereinzelte Bäume um ein bisschen Licht kämpften, und im Kontrast dazu so etwas wie die Sicilian Avenue, die vor Restaurants und Geschäften schier platzte. Dave bekam London einfach nicht zu fassen. Es war zu vielseitig, eine zu krasse Mischung aus zusammengewürfelten Gebäuden und Straßen, als dass er sich einen Gesamteindruck verschaffen konnte.
» Na ja«, sagte er zu sich selbst, » Danny wird es jedenfalls nicht vermissen. Der hat ja sowieso kaum etwas anderes gesehen als sein Hotelzimmer.«
Das stimmte nicht ganz, aber Dave musste sich mit dem Gedanken trösten, das Richtige getan zu haben. Er wäre ja selbst gerne nach Hause zurückgekehrt, aber der Job war noch nicht getan. Vor sich selbst musste er es zugeben: Manovitch war wahrscheinlich noch irgendwo da draußen.
19
P etra verließ das Hotel und ging zum U-Bahnhof Holborn. Sie nahm die Piccadilly Line bis zum Leicester Square und dann die Northern zum Südufer. Dann fuhr sie mit dem Bus in eine bestimmte Straße bei Elephant and Castle. Noch bevor sie in den Bus gestiegen war, hatte sie sich einen Schal um den Kopf gewickelt, der auch die untere Hälfte ihres Gesichts bedeckte. Sie wollte nicht erkannt werden.
Es war bereits dunkel, als sie die kleine, schmutzige Seitenstraße entlangging und schnell in eine Gasse einbog. Sie blieb stehen und lauschte eine Weile, bevor sie in ihren eleganten, teuren Klamotten über einen Zaun kletterte und sich in einen Hinterhof fallen ließ, der voller Müll war. Klugerweise hatte sie, bevor sie aufgebrochen war, flache Schuhe angezogen, die ihr nun sehr dienlich waren, als sie sich einen Weg zwischen Dosen, Flaschen, Lumpen und anderem Schrott hindurch suchte. Sie musste verrosteten Kinderwagen, Fahrradrahmen und anderem Abfall ausweichen, die hier jahrelang von den verschiedenen Familien entsorgt worden waren, die in den fünf Wohnungen hausten, in die das Haus unterteilt war.
Petras Ziel lag im ersten Stock. Sie bemerkte, dass die Vorhänge noch offen waren, obwohl im Zimmer dahinter bereits Licht brannte. Petra kletterte auf die Mauer, die zwischen den Grundstücken verlief, und lehnte sich an die Hauswand. Sobald sie Halt gefunden hatte, spähte sie in das Wohnzimmer.
Der Raum hinter dem Fenster war zwar mit seinen zu dick gepolsterten Sofas und einem alten Eichentisch billig eingerichtet, aber makellos sauber. An dem Eichentisch saß ein vielleicht zwölfjähriger Junge. Er schien völlig auf die Schulbücher konzentriert zu sein, die vor ihm lagen – zweifellos machte er gerade seine Hausaufgaben. Über seinem offenen, hübschen Gesicht ringelten sich schwarze Löckchen. Die Stirn hatte er in Falten gelegt, offenbar war er hoch konzentriert.
An der Wand hinter dem Jungen, der auf den Namen Abibi getauft war, von allen aber nur Abby genannt
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