Angel 01 - Die Engel
eine verpassen, wenn sie es am wenigsten erwarteten.
Er erinnerte sich noch, wie er mit diesem Mädchen aus dem Schreibbüro angebandelt hatte, deren Mann ganz neu bei der Polizei war. Der junge Ehemann war bei Manovitch aufgetaucht und hatte damit gedroht, ihm das Licht auszupusten, wenn er nicht die Finger von seiner Frau ließe. Das war jetzt ein paar Jahre her, Manovitch war damals Mitte dreißig gewesen. Damals hatte er Menschen, die ihm drohten, auch schon nicht leiden können.
Zu dieser Zeit hatte es eine Mordserie im Hafen gegeben. Man vermutete, dass die Chinesen dahintersteckten, weil Schlachtermesser und Hackebeile im Spiel gewesen waren. Die bevorzugten Waffen der Schlitzaugen.
Manovitch hatte den jungen Polizisten in den Hafen gelockt und ihm dann mit einem Beil den Schädel gespalten. Das war ganz einfach gewesen, so unerfahren, wie der Junge gewesen war. Als er gesehen hatte, dass dort in den Schatten ein Weißer stand, hatte er nicht einmal seine Waffe gezogen. Er war nur dem lockenden Finger gefolgt, und zack, kein Gesicht mehr. Manovitch hatte seine Rechnung beglichen, und die Chinesen waren in großen Schwierigkeiten gewesen, weil sie einen Cop kaltgemacht hatten. Das war okay. Er war kein Freund der ethnischen Minderheiten. Wenn es nach ihm ging, konnten sie in Haifischflossensuppe ersaufen. Und dann war ihm die schreckliche Aufgabe zugefallen, die Witwe des Neulings zu trösten. Das war eine echte Schlampe gewesen.
Bei dieser Erinnerung fühlte sich Manovitch schon wesentlich besser. Er zog wieder an seinem Glimmstängel, dann spähte er zur Seite auf das verfilzte schwarze Haar auf dem Kissen und den offenen Mund. Verdammt, war die hässlich. Kein Wunder, dass es so einfach gewesen war. Er war ja selbst nicht gerade ein Adonis, das war ihm klar, aber sie war der Abschuss. Aber immerhin, Verschwendung war eine Sünde. Er stieß ihr den Ellbogen in die Rippen. Grunzend wurde sie halbwegs wach.
» Was denn los, Engelchen?«, murmelte sie verschlafen.
» Du musst nicht aufwachen«, erklärte er ihr, » roll dich einfach auf den Rücken.«
9
W ährend der Nacht begannen Sirenen zu heulen: Feuerwehr, Polizei, Krankenwagen. Dave fiel von der Bettkante und tappte zum Fenster, um eine Stadt zu sehen, in der mindestens drei Großbrände tobten, die den Himmel von unten erleuchteten als wäre er eine Bühne, mit Mond und Sternen als Schauspieler. Es hätte vielleicht eine poetische, inspirierende Szene sein können, die Flammen, die zwischen den Gebäuden einer verwüsteten Stadt glommen, wenn dort draußen nicht gerade Menschen gestorben wären.
Als er das Bett verließ, wurde ihm klar, dass er ziemlich betrunken war. Er konnte sich nicht daran erinnern, getrunken zu haben, aber sein Gehirn fühlte sich an, als wäre es mit Stacheldraht umwickelt, und das tat es immer, wenn er zu tief ins Glas geschaut hatte.
Er torkelte in die Küche und machte sich eine Tasse Kaffee, obwohl er wusste, dass sie ihn am Schlafen hindern würde, aber er brauchte das Koffein. Ihm war die Milch ausgegangen, und er fragte sich flüchtig, wie das sein konnte, nahm den Kaffee dann aber schwarz. In der dunklen Küche grübelte er nicht, sondern reflektierte einfach, wie sein Leben noch vor ein paar Monaten gewesen war. In einem Mondlichtstrahl, der durch die karierten Küchengardinen fiel, funkelte der Mixer. Er war nicht mehr benutzt worden, seit Celia nicht mehr da war. Die Hälfte aller Sachen war seitdem nicht mehr angefasst worden. Die Wohnung war ein einziges Chaos, vor allem in den Ecken, die niemand sah.
Ein Mann trägt ein sich langsam entwickelndes Bild in sich, das zeigt, wie alles sein wird, bis er eines Tages stirbt. Er sieht sich selbst altern, seine Frau mit ihm, ihren Sohn, wie er erwachsen wird, heiratet und Enkelkinder produziert. Bilder. Wie viele von uns erleben, wie diese Bilder heranreifen, bis sie irgendwann zu denen in unserem Kopf passen? Jamie wäre vielleicht in die Drogenszene abgerutscht. Oder Celia hätte angefangen zu trinken. Oder er selbst wäre von irgendeiner hirnverbrannten, wilden Affäre gepackt worden, in die sich Männer oft stürzen, wenn sie in die Jahre kommen, mit tragischen Konsequenzen. Oder vielleicht wäre es Celia gewesen, die die Affäre gehabt hätte, irgendeine große Leidenschaft, und Jamie hätte angefangen zu saufen oder wäre crackabhängig geworden? Wer zum Teufel konnte schon sagen, was die Zukunft bringen würde? Er hielt nichts von alledem für wahrscheinlich,
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