Angel Eyes. Im Bann der Dunkelheit (German Edition)

springe ich auf, denn nun erkenne ich auch die Umgebung.
    «Ich muss los, Ry. Ruf mich später noch mal an!» Ich klappe das Handy zu, ohne die Antwort abzuwarten.
    Gallaghers.
    Beim ersten Mal habe ich das Bild so schnell verdrängt, dass ich nicht auf die Einzelheiten geachtet habe, doch am Rand meines Gesichtsfelds erkenne ich jetzt die gräulichen Holzschindeln des Schuppens. Der Boden um den Schuppen ist mit Bierdosen, Kippen und benutzten Kondomen übersät. Während ich das Bild im Kopf noch einmal abrufe, um weitere Details zu suchen, fällt mir auf, dass die Vision mit Musik unterlegt ist. Ich höre deutlich «How to Save a Life» von der Band The Fray. Mein Magen krampft sich wieder zusammen, denn der salzige, metallische Kupfergeschmack von Taylors Blut dringt mir in der schweren Luft der Abenddämmerung in die Nase.
    Abenddämmerung.
    Taylor wird in der Abenddämmerung hinter dem Schuppen der Gallaghers sterben.
    Ich werfe mich in meine Klamotten. Als ich die Arme über den Kopf hebe, um mein T-Shirt anzuziehen, stöhne ich vor Schmerzen. Ich habe Gabe angelogen. Mindestens eine meiner Rippen ist mit Sicherheit gebrochen. Doch das ist meine geringste Sorge.
    Am Fuß der Treppe stürzt meine Mutter sich auf mich und bietet mir Pfannkuchen und Würstchen an. «Du bist die Einzige, die ein warmes Frühstück bekommt. Die anderen sind alle noch im Bett.»
    Allein bei dem Gedanken daran dreht sich mir der Magen um. «Ich habe wirklich keinen Hunger, Mom. Ich gehe rüber zu Riley», lüge ich.
    Zuerst ist sie beleidigt, aber dann werden ihre Züge weich. «Du musst was essen, Frannie. Ich weiß, dass diese Trennung nicht leicht für dich ist, aber du darfst nicht noch mehr abnehmen. Das ist nicht gesund.»
    Ich verplempere hier meine Zeit. Ich muss los und mit Gabe reden – herausfinden, was wir tun sollen. Frustriert fahre ich sie an: «Das ist nicht wegen der Trennung, Mom. Ich habe bloß keinen Hunger.» Damit renne ich zur Tür hinaus, bevor sie etwas erwidern kann.
    Ich laufe die Straße hinunter, aber auf halbem Weg zu Gabes Wohnung geht mir auf, dass das wahrscheinlich keine besonders kluge Idee ist. Was, wenn Gabe Lilith verschreckt?
    Kann sein, dass ich nur eine Chance habe, Taylor zurückzukriegen.
    Denk nach!
    Ich kehre zu meinem ursprünglichen Plan zurück, bevor ich wusste, wo ich Taylor finde. Ich werde den Köder spielen, Lilith anlocken. Wenn weder Gabe noch Luc Lilith verschrecken, könnte er funktionieren.
    Lilith braucht jemanden, der für die Hölle markiert ist, den sie als Gastkörper übernehmen kann. Schaffe ich es, ihr mit Hilfe meiner Macht einzureden, ich sei für die Hölle markiert? Dann würde sie versuchen, von Taylor in mich zu wechseln – schließlich hat sie es eigentlich auf mich abgesehen. Da ich jedoch für den Himmel markiert bin, kann sie nicht in meinen Körper eindringen. Die Körper, zwischen denen sie wechselt, müssen einander berühren – das hat mein Vater gesagt. Wenn ich Taylor also während des Übergangs wegschubse, wird Lilith ohne Gastkörper zurückbleiben. Kann sie dann überleben? Gabe sagte, ihre Seele sei menschlich. Daher bin ich mir ziemlich sicher, dass sie das nicht überleben wird. Mein Herz rast, als mir bewusst wird, wie gefährlich mein Plan ist.
    Alles, was ich tun muss, ist, Lilith aus Taylor herauszulocken und Taylor dann von Lilith wegzustoßen.
    Ohne dass Gabe oder Luc es mir vermasseln.
    Mein Schutzschild ist nutzlos gegenüber Luc, und Gabe kann meine Gedanken lesen, wenn ich nicht ganz besonders vorsichtig bin – deshalb muss ich mich von beiden fernhalten.
    Ich klappe mein Handy auf und rufe Riley an. Es widerstrebt mir, sie in dieser Weise einzuspannen, aber es geht schließlich um Taylor. Wenn ich es ihr erklären könnte, würde sie bestimmt mitmachen. Dies sollte an zwei Fronten funktionieren. Ich muss für Rileys Sicherheit sorgen, aber ich brauche auch ein Alibi.
    «Riley, könntest du mit Trev rüberkommen?»
    «Hat Taylor angerufen?»
    «Nein, aber ich habe eine Idee», sage ich und gehe wieder nach Hause.
    Ich werde ein paar Pfannkuchen essen und Mom glücklich machen. Und sollte meine Macht auch nur das Geringste taugen, wird niemand bemerken, wenn ich irgendwann verschwinde.
Luc
    Was ich gestern Abend getan habe, ist unverzeihlich. Und wenn ich bleibe, werde ich es wieder tun. Ich habe im Geist jede Liebkosung, jeden Kuss immer wieder durchgespielt. Nur bei Gabriel wird Frannie jemals sicher sein. Er hätte mich Lucifer