Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)
dem Weg zur Treppe versuche ich, nicht zu schwanken. Gabe stützt mich. Unten an der Treppe hebt er mich vorsichtshalber auf seine Arme.
«Und? Habt ihr euch gut amüsiert?», zwitschert meine Mutter.
Wahrscheinlich habe ich mich verhört. Immerhin ist es neun Uhr morgens, ich war die Nacht über nicht zu Hause und werde jetzt von einem Typ die Treppe hochgetragen. Welche Mutter einer Siebzehnjährigen würde da wohl als Erstes wissen wollen, ob ihre Tochter sich gut amüsiert hat? Okay, der Junge, der mich trägt, ist ein waschechter Engel, aber das weiß meine Mutter ja nicht. Hätte Luc mich gebracht, gäbe es jetzt einen riesigen Aufstand.
«Haben wir das, Frannie?», fragt Gabe und grinst. Am liebsten würde ich ihm eine reinhauen, aber dazu bin ich noch zu fertig. Stattdessen stöhne ich nur.
Gabe trägt mich die Treppe hoch in mein Zimmer. Meine Mutter kommt uns hinterher. Gabe legt mich auf dem Bett ab. Auf dem Flur kichern meine Schwestern, aber meine Lider sind zu schwer, um nachzusehen, welche es sind.
Gabe setzt sich auf die Bettkante und streichelt meine Wange. «Wie fühlst du dich?», erkundigt er sich leise.
«Ich möchte, dass mich jemand erschießt.»
Gabe beugt sich vor. Seine Lippen streifen mein Ohr. «Da muss ich leider passen», murmelt er. Wenn ich könnte, würde ich ihn erschießen.
«Dann verpiss dich.» Ich wälze mich auf die Seite und ziehe mir die Decke über den Kopf.
Meine Mutter redet irgendwas von Hühnerbrühe und läuft nach unten. Gabe hat sich nicht von der Stelle bewegt.
«Was willst du?», murmele ich.
«Dasselbe wie immer. Wie sieht es aus? Kannst du dir inzwischen vergeben?»
«Lass mich in Ruhe.»
«Warum, Frannie? Warum klammerst du dich so daran fest?»
«Darum.» Ich schlucke meine Tränen herunter. «Weil ich es brauche.»
«Wozu?»
Hat dieser Engel denn überhaupt kein Erbarmen? Mein Kopf tut weh, und mir ist übel. «Können wir nicht ein andermal darüber reden?»
«Nein, wir tun es jetzt. Also, wozu brauchst du das?»
Ein messerscharfer Schmerz fährt durch mein Gehirn. Stöhnend streife ich mir die Decke vom Kopf. Ich brauche Luft. «Ich denke, du kannst meine Gedanken lesen. Warum suchst du dir nicht irgendeinen aus?»
«Das könnte ich, wenn du die entsprechenden Gedanken zulassen würdest. Vielleicht konzentrieren wir uns zunächst einmal darauf. Warum läufst du vor dir davon?»
«Weil ich nicht anders kann.»
«Und warum nicht?»
«Gabe, bitte geh jetzt und lass mich zufrieden.»
Gabe rutscht ein Stück näher. Ich spüre seinen kühlen Atem. «Nein, Frannie, ich bleibe. Du weißt, dass ich immer für dich da sein will.» Seine Lippen fahren über meine Wange. Mit einem Mal sind meine Kopfschmerzen weg und werden durch ein Ziehen an anderer Stelle ersetzt. Ehe ich mich versehe, kralle ich meine Hände in Gabes Haare. Seine Lippen berühren meinen Mund – doch in diesem Augenblick kehrt meine Mutter zurück und trägt zwei dampfende Becher in den Händen.
«O mein Gott», sagt sie.
Gabe sieht mich liebevoll an, ehe er aufsteht und sagt: «Ich glaube, ich muss jetzt los.»
«Aber warum denn?», fragt meine Mutter, lächelt verkrampft und hält Gabe einen Becher hin. «Trinken Sie einen Schluck, das wird Ihnen guttun.»
«Danke, Mrs. Cavanaugh, aber für mich wird es leider Zeit. Frannie ist ja jetzt in guten Händen.» Gabe dreht sich zu mir um. «Ich komme später noch mal vorbei.»
«Okay», ist alles, was ich herausbringe.
Ich höre, wie er nach unten geht. Meine Mutter stellt meinen Becher ab und folgt ihm. Ich lasse die Hühnerbrühe stehen, drehe mich mit dem Gesicht zur Wand und versuche zu begreifen, was da eben passiert ist. Ich muss an Luc denken. Er hat versprochen, mich heute Abend zu besuchen. Vielleicht werde ich dann mal diese Macht ausprobieren und gucken, ob sie bei meinen Eltern wirkt. Beispielsweise könnte ich versuchen, ihre Meinung über Luc zu ändern. Ich wüsste wirklich gern, wie und wann sie funktioniert.
Zuvor jedoch muss mein Kopf wieder klar werden.
Ich denke an den Shelby, der jetzt sicherlich auf der anderen Straßenseite steht. Mir wird warm ums Herz. Ich liebe Luc, das weiß ich. Die Frage ist nur, warum ich dann immer noch Gabe küssen will?
Luc
Ich folge Gabriels Charger und parke gegenüber von Frannies Haus. Den Großteil des Tages verbringe ich in meinem Wagen. Ab und zu sehe ich zu Frannies Fenster hoch. Dann wieder überlege ich, wie ich ihre Eltern beeindrucken könnte. Zumindest
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