ANGEL - Wolfsmensch (German Edition)
Geländer gelehnt. Der Blick, mit dem er mich ansah, bestätigte mir, dass es kein Traum gewesen war.
Noch nie zuvor war ich froh darüber gewesen, dass mein zweiter Körper nicht rot werden konnte. Verlegen senkte ich den Blick und wandte mich zur Treppe. Er sah mir nach. Ich spürte seinen Blick in meinem Rücken. Fühlte, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. Was sollte ich jetzt denken? Hatte Claude gelogen, als er mir sagte, er habe seinen Fluch unter Kontrolle? War es jetzt immer so?
Nachdenklich lief ich die Stufen hinunter. Dieses seltsame, aber überaus erotische Erlebnis würde mich wohl den Rest der Nacht begleiten.
Als ich die Eingangshalle erreichte, warteten die Anderen schon auf mich. Es tat so gut, wieder unter ihnen zu sein. Ihre großen, atemberaubenden Schatten. Die kraftvollen, starken Körper meiner Familie. Niemand machte auch nur Andeutungen, über merkwürdige Geräusche aus meinem Zimmer. Nicht einmal Nick, der sonst keine Gelegenheit ausließ, um mich zu ärgern. Vielleicht hatten sie nichts gehört. Besser wäre es jedenfalls.
Bei ihnen angelangt verzog ich die Lefzen zu einem Grinsen. Nick kam sofort zu mir und strich an meiner Seite entlang. Er stieß einen hohen, fröhlichen Ton aus, eine liebevolle, begrüßende Geste. Das finstere Grollen aus Marks Kehle rief uns zum Aufbruch.
*
Der Morgen nahte, als ich mich endlich wieder in mein Zimmer schleppte. Jeder Muskel in meinem Leib brannte. Meine Lungen wollten kaum noch arbeiten. Ich hatte meinen Körper bis an die Grenze seiner Belastbarkeit getrieben.
Ewig war ich noch mit Nick und Seth gerannt. Wir hatten zusammen gejagt und getötet.
Jetzt war meine Kraft aufgebraucht. Ich war erschöpft und müde. Aber ich fühlte mich wahnsinnig gut. So gut, wie schon monatelang nicht mehr.
So grausam, wie die Zeit auf Craven einst auch geendet hatte, die Jagden hier waren einfach unerreicht.
In der Stadt war sowas schlicht unmöglich. Wir, die wir direkt unter Menschen lebten, mussten uns verbergen und uns anpassen. Hier, auf Craven, konnten wir sein, wie wir wollten. Ja, ich vermisste diese Seite des Lebens hier.
Stöhnend vor Schmerz ließ ich mich mitten auf dem Boden nieder und genoss die Kühle des Holzes. Es würde noch ein paar Minuten dauern, bevor die Sonne aufging. Die Ruhe tat gut und schließlich dann, fühlte ich, wie der Rand der Sonne über die Erde lugte und ihr Licht meinen Körper erneut veränderte. Einen Moment später lag ich als nackter, blutverschmierter Mensch da. Ich atmete tief durch und stemmte mich hoch, um mir das Blut von Haut und Haar zu waschen. In ein Handtuch gewickelt lies ich mich aufs Bett fallen. Weiche Federn und der zarte Geruch von frischer Wäsche fingen mich auf und umschlossen mich in herrlicher Ruhe. Ich versank in der wohlig weichen Tiefe und gab mich meiner Müdigkeit hin ... Doch lange blieb der Frieden nicht. Kaum, dass ich die Augen geschlossen hatte, kamen die Bilder wieder. Erinnerten mich an den Abend zuvor. Ich fluchte leise in die Bettdecke hinein. Mein eigener Wächter! Wohin sollte das nur führen? Aber wären Claude und dieser hübsche, mentale Trick nicht gewesen ... Wer weiß, mit wem von den Anderen ich heute Morgen dann hier aufgewacht wäre. Oder, schlimmer noch, irgendwo draußen in der Wildnis. Wahrscheinlich wäre es Seth gewesen. Kurz vor dem Aufbruch nach Hause hatte er versucht, mich zu überreden, bei ihm zu bleiben. Ich war mit den anderen zurückgegangen. So sehr ich Seth auch mochte, ich liebte ihn nicht. Die Zeit mit ihm war schön gewesen, aber wir hatten unsere Beziehung beendet, als ich gegangen war. Dorthin gab es kein zurück mehr.
Ich drehte mich auf den Rücken und starrte zur Decke. Ich würde noch einmal mit ihm darüber reden müssen. Seth musste begreifen, dass ich nie ihm gehören würde. Er hatte seine Chance verspielt, als er mich freigab.
Diese Sache mit Claude konnte ich aber auch nicht so einfach ignorieren ... Er war mein Wächter. Mein Spiegel. Ihn würde ich noch ein paar Mal öfter sehen, so wie es aussah.
Erst einmal brauchte ich Ruhe, musste Kraft schöpfen, bevor ich mit Claude darüber sprechen konnte. Immer noch steckten mir die Suche nach Ira und die Folter in den Knochen. Jetzt noch die Nachwehen der Wandlung. Ich brauchte dringend Schlaf.
Es dauerte jedoch keine halbe Stunde, bis ich feststellte, dass ich nicht schlafen konnte. Claude war einfach überall um mich herum. Die Erinnerungen an diese Nacht ließen mich nicht
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