Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
eine letzte übrig, und die ist folglich »alternativlos«. So denkt nicht mehr »Mutti« Merkel, sondern »Tina«, there is no alternative, Merkel. Und sagt kokett: »Das ist kein Diktat, sondern die Annäherung an die Wirklichkeit.« In Wahrheit ist es der Versuch, aus der Gesellschafts-Wissenschaft namens Politik eine Ingenieurs-Wissenschaft zu machen.
Zum Beispiel, als es im Frühjahr 2010 darum ging, ob das faktisch bankrotte Griechenland allein von den übrigen Euro-Staaten zu retten sei oder ob auch der Internationale Währungsfonds ( IWF ) mit Know-how und Milliarden teilhaben solle. Merkel saugte auf, lernte schnell, fügte ihre eigenen Erfahrungen mit der Brüsseler EU-Kommission hinzu. Das reichte, um bald ihren eigenen Finanzminister Wolfgang Schäuble zu stoppen. Der hatte zunächst erklärt, es sei eine Frage der Ehre, dass die Europäer ohne den IWF mit der Sache klarkämen. Merkel dagegen wollte den IWF als unparteiischen, unverdächtigen Teilhaber einbinden, doch eine Mehrheit war dagegen. Also wartete Merkel ab, ließ sich von der SPD dafür kritisieren, europaweit als »Madame No« verspotten. Und behielt recht. Die Zeit, die ihr Zögern schaffte, hatte bei den Regierungen der Euro-Zone für eine Beteiligung des IWF gearbeitet – die heute weitgehend unbestritten als kluger Schachzug gilt.
Die Kanzlerin hatte die Sache vom Ende her gedacht: Wenn das griechische Staatsschulden-Desaster auch ein Aufsichtsversagen der Brüsseler EU-Kommission gewesen war, dann dürfe sich das nicht wiederholen. Die Kommission sollte demnach keinesfalls allein die praktische Umsetzung der nötigen Reformen in Griechenland überwachen. O-Ton aus einer internen Lagebesprechung: »Die in Brüssel nehmen sowieso immer nur die positivsten Szenarien, die am wenigsten weh tun.« Hieß: Der IWF musste als selbstbewusste, erfahrene Kontrollinstanz mit ins Boot. Mit ihrem Zögern, das in die gewünschte Richtung wirkte, hat sie das politisch möglich gemacht. Geht doch, sagt sich die Kanzlerin in solchen Momenten.
Wenn ihr Zaudern solche Zwangsläufigkeit tatsächlich stets ergäbe, dann wäre der Trick wohl unschlagbar. Tut es aber nicht. Oder nicht schnell genug. Die Lösung, die am längsten in der Debatte überlebt, ist nicht automatisch die beste.
Denn ebenfalls während der Griechenland-/Euro-Krise machte manch’ anderes Zuwarten die Sache nicht unbedingt besser, sondern eher schlimmer. Nicht wenige Experten sagen, dass es der immer wieder umstrittene, etappenweise Ausbau von zunächst netto 250 Milliarden auf heute gut 700 Milliarden Euro war, der dem Euro-Rettungsschirm einen Teil der erhofften Wirkung auf den Finanzmärkten anfangs genommen hat. Diese Verzögerung geht auf das Konto der Kanzlerin, die den Deutschen die Wahrheit über die Euro-Rettung offenbar nur in kleinen Dosen verabreichen wollte. »Nicht wer am schnellsten handelt (bzw. gibt), ist der beste Europäer, sondern wer es richtig macht«, so sagte sie im Bundestag zu ihrer Verteidigung.
In dieser Logik nannte sie es 18 Monate lang »alternativlos«, Griechenland einen Schuldenschnitt zu ersparen. Ende 2011 kam es trotzdem dazu. Den ganzen Sommer 2012 hieß es wiederum, alle weitere Hilfe werde sich ausschließlich aus dem Bericht der Troika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds ableiten. Im Herbst galt das nicht mehr. Da bekam Griechenland plötzlich eine Quasi-Garantie für den Verbleib im Euro – von dem Troika-Bericht redete Merkel nur noch am Rande. Aber als Ende 2012 endlich das massiv zu Gunsten Athens veränderte Paket erneut durch den Bundestag geht, steht der nächste Schuldenschnitt für Griechenland schon am Horizont, gut sichtbar. Öffentlich wird er selbstverständlich »ausgeschlossen«, aber hinter den Kulissen gilt er im Frühjahr 2013 bei allen Parteien als »unausweichlich«. Offen nur, ob 2015 oder 2016 vollzogen wird. Und es zählt zu den stärksten Szenen des SPD -Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, wenn er bei Wahlkampf-Auftritten der Kanzlerin zuruft: »Machen Sie sich ehrlich bei Griechenland! Sagen Sie es endlich: Es wird Milliarden kosten, das Land zu retten.«
Merkels Problem: Wer Beschlüsse oder Fristen erst alternativlos nennt, um große Gewissheit zu suggerieren, der macht sich besonders angreifbar, wenn er nachsteuern muss. Weil die Opposition diese Flanke besonders hartnäckig attackiert, reagiert die Kanzlerin entsprechend dünnhäutig: »Ich weiß ja, dass ich
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