Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
wird’s nicht.« Wenig später jedoch erkennt sie, dass Gauck nicht zu verhindern ist, dann lenkt sie ein. Noch am Abend im Kanzleramt preist sie Gauck bei der eilends organisierten Vorstellung des gemeinsamen Kandidaten in den höchsten Tönen. Als wäre nichts gewesen.
Das alles soll nicht den Eindruck vermitteln, die Kanzlerin bringe ihre Tage zwischen Toben, Fluchen, Wutanfällen zu. In Wahrheit hat sich Angela Merkel nämlich gegen das tägliche Maß an Kritik und Problemen gut verpanzert – wer das nicht tut, der darf ja auch nicht Bundeskanzler werden. »Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo Frau Merkel nicht die Nerven behalten hätte«, sagt selbst Sigmar Gabriel, der SPD -Chef, der in der großen Koalition unter Merkel Umweltminister war.
Entsprechend viel prallt an ihr ab, und zwar vom ersten Tag ihrer Zeit im Kanzleramt an, vor allem die Aufgeregtheiten einzelner Momente. Beispiel: Als Merkel am 22. November 2005 ins Amt gewählt wird, erhält sie nur 397 Stimmen von SPD und CDU / CSU . Nach den hitzig diskutierten Maßstäben für einen geglückten Start der großen Koalition ist es eine Schlappe. Alles unter 400 Stimmen hatten auch (echte) Parteifreunde als die Grenze zum Blamablen definiert. Im Getümmel nach der Wahl sagt einer von Merkels engen Vertrauten, der heutige Umweltminister Peter Altmaier: »Sie ist jetzt die Kanzlerin. Die 4 war für die Symbolik. Da kräht morgen kein Hahn mehr nach.« Genau so sah sie es selbst, genauso sieht es sie es auch am Ende ihrer zweiten Amtszeit: Wann immer sie bei den wichtigen Euro-Abstimmungen eine »eigene« Mehrheit von CDU / CSU und FDP im Bundestag hat, reicht ihr das. Die absolute, die so genannte »Kanzlermehrheit« lässt sie als Messlatte nicht gelten, ganz egal, was die Medien oder die Opposition sagen. »Nüscht von Bedeutung«, würde Merkel sagen. »Nüscht«, um darüber in Wut zu geraten – oder gar »Sch…« zu sagen.
Macht Merkel für Macht alles?
Ziemlich genau 36 Meter nackter Waschbeton hoch, einen ganzen Straßenzug breit, acht Etagen. Annähernd 230 000 Kubikmeter umbauter Raum, übermannshohe Stahlgitter drumherum, mit angefeilten Spitzen obendrauf. Bundeskanzleramt der Bundesrepublik Deutschland, Willy-Brandt-Straße 1. Alles, bis zur Adresse, ist mächtig groß.
Und eben auch nicht.
Die notorisch respektlosen Berliner zum Beispiel nennen das Kanzleramt »Bundeswaschmaschine«, weil es so aussieht wie eine. Vierkantiger Umriss, aber in der Mitte ein Loch wie das kreisrunde Fenster vor der Waschtrommel. Das Dach des Kanzleramts liegt einige symbolische Meter tiefer als die Kuppel des Reichstages, wie um zu zeigen: Im Kanzleramt wohnen nur die, denen das deutsche Parlament von schräg oben auf die Finger schaut und manchmal auch in die Karten. Im Kanzleramt arbeiten in gut 350 Büros nicht einmal 500 Menschen, da hat selbst das Landwirtschaftsministerium mehr. Das ist auf den ersten Blick ein Widerspruch, denn wer würde behaupten das Landwirtschaftsministerium hätte mehr Macht als das Kanzleramt? Krassestes Beispiel: Die Handvoll Mitarbeiter der europapolitischen Abteilung des Kanzleramtes reklamieren inzwischen wie selbstverständlich die Federführung in allen zentralen EU- und Euro-Fragen, weil die Kanzlerin mit ihresgleichen im Europäischen Rat immer tiefer in die Details hineinregiert und sie den Außen- und Finanzministern den Rang abgelaufen haben. Dabei kommen die Europa-Abteilungen im Finanz-, Wirtschafts- und Außenministerium rechnerisch auf mehr als hundert mal so viele Beamte wie das Kanzleramt. Auf sie ist das Kanzleramt angewiesen, denn in Bürokratien ist Masse auch Macht. Die Bundeswaschmaschine steht irgendwie also für die Macht – und ihre Grenzen. Für den Machtwillen der Chefin. Und ihre Ohnmacht.
In Angela Merkels eigenen Worten: »Ich kann sagen: Das will ich nicht. Aber ich kann nicht sagen: Das will ich.« Das war 2007, zur Mitte der großen Koalition, und die SPD war ein Partner auf Augenhöhe. Aber es würde heute, nach den Regierungsjahren mit einem viel kleineren Koalitionspartner und auf der Höhe ihres präsidialen Ansehens, trotzdem nicht anders klingen. Es stimmt wohl: Angela Merkel kann eine monochrome Egoistin der Macht sein, und nicht wenige würden noch das Attribut »eiskalt« hinzufügen. Sie mag ihre Macht nicht gern öffentlich zur Schau stellen, aber wenn doch – dann mit großer Brutalität. Zugleich vergisst sie nicht, was ihre Macht möglich macht und wo deren Grenzen
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