Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
gerade verlaufen.
Bevor man jedoch herausfinden kann, was die Kanzlerin für die schiere Macht alles tun würde, muss man benennen, was Macht für sie ist, und beschreiben, welche die Grundlagen ihrer Macht sind und wo die Grenzen.
Max Weber, unvermeidlich an dieser Stelle, definiert Macht, als »jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht«. So denkt Angela Merkel nicht, so dachte vielleicht Gerhard Schröder. Für die Kanzlerin ist Politik ein derart komplexes Zusammenspiel stetig flottierender Kräfte, dass eine Gleichung A stärker als B niemals stabil sein kann, mithin A niemals auf Dauer Weber’sche Macht über B ausüben kann. Merkels Idee von Macht ist dagegen viel mehr an Situationen gebunden, an flüchtige Konstellationen bestimmter Kräfte und Fixpunkte, diese Woche so, nächsten Monat anders. In diesem Sinne, in Merkels Sinne, hat Macht dabei derjenige, der den Moment der Entscheidung bestimmen kann – dann nämlich, wenn die Kräfte günstig für seine Sache stehen und einen Sieg erwarten lassen. Das erinnert an den umstrittenen Staatsrechtler Carl Schmitt mehr als an Max Weber. Einer von Schmitts zentralen Macht-Sätzen heißt: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« In anderen, zeitgemäßen Worten – Macht hat, wer in der Krise zur Durchsetzung seiner Pläne sagen kann: »Das ist alternativlos.« In der deutschen Demokratie absichern lässt sich so ein Satz natürlich nicht mit der Bundeswehr oder der GSG 9, wohl aber mit überlegen erscheinendem Wissen. Mit Macht durch Wissen. Oder wie Angela Merkels Mutter ihrer Tochter sagte: »Wenn du besser bist als die anderen, kann dir keiner etwas anhaben.« Das ist, was Angela Merkel unter Macht versteht: bestimmen zu können, wann die Entscheidung fällt und sie der möglichst objektivierbaren Überlegenheit ihres Wissens unterordnen zu können. Es ist eine abstrakte Idee, und sie ist kalt.
Merkels Macht ist eine Macht des Moments. Sie wird, wenn überhaupt, stets nur als Schlaglicht sichtbar, so grell, dass sie Schrecken verbreitet. Aber auch so flüchtig, dass sie oft wie ein Zufall wirkt.
Durch Zufall ist Angela Merkel ganz am Anfang schon in die Nähe von echter Macht-Politik geraten. Stellvertretende Sprecherin der letzten DDR -Regierung wurde sie, so erzählt es ihr damaliger und heutiger Weggefährte Thomas de Maizière, weil der Koalitionspartner in der Regierung Lothar de Maizière keinen stellen mochte und deshalb die CDU beide Posten besetzen durfte, auch den des Stellvertreters. Den Moment erkannt. Zugegriffen. Gemacht. Auf dem weiteren Weg bis ins Kanzleramt setzt sich das Muster fort, ebenso in den fast acht Jahren, die sie bis heute darin zugebracht hat. Als junge Ministerin für Umwelt hat sie den wichtigsten Beamten prompt gefeuert, einen sehr kundigen, aber noch eitleren Mann, der sie durch mehr oder minder offene Illoyalität herausgefordert hatte. An die Spitze der CDU gelangte Angela Merkel durch eine Verkettung zufälliger Umstände – und den einen Moment der Demonstration, als sie den offenen Brief an Helmut Kohl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte. Damit sagte Merkel die Partei von ihm los und übernahm sie in Wahrheit schon. Formal hatte sie gar nicht die Macht dazu, die verschafften ihr erst der präzis gewählte Zeitpunkt der Veröffentlichung und der Ort, die FAZ , quasi das Amtsblatt der CDU .
Die Männer, die Angela Merkel gewähren ließen, sahen sie in Mehrheit als einen bloßen Übergang bis zum Zeitpunkt ihres eigenen letzten Aufstiegs an die CDU -Spitze. Und tatsächlich hat Angela Merkel schnell auch die Grenzen ihrer Macht kennengelernt, als Friedrich Merz schon Fraktionschef war, sie aber noch nicht Parteichefin. Als er sie in einem Vier-Augen-Gespräch fragte: Was willst du werden, wenn ich Kanzler bin? Und noch einmal 2002 stieß sie an die Grenzen. Als kaum erst etablierte CDU -Parteichefin musste sie den letzten Showdown mit Edmund Stoiber um die Kanzlerkandidatur vermeiden und ihm den Vortritt lassen. Manch ein Beobachter hat im Nachhinein gemutmaßt, Merkel habe Stoiber nur deshalb vorgelassen, damit der Bayer sich bei der Wahl gegen Kanzler Schröder ein für allemal selbst erledige; ähnlich wie Helmut Kohl 1980 CSU -Chef Franz-Josef Strauß antreten ließ, um ihn ein für allemal von bundespolitischem Ehrgeiz zu heilen. Aber es war nicht so. Nach menschlichem
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