Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Journalisten über sie lustig gemacht hätten und sie es aus der Entfernung beobachten konnte.
Ihr unerbittliches Gedächtnis dafür bedeutet aber nicht, dass sie überdurchschnittlich nachtragend ist. Der verstorbene SPD -Fraktionschef zu Zeiten der großen Koalition, Peter Struck, sagte es einmal so: Man könne mit Merkel »richtig heftig« streiten. »Aber danach Schwamm drüber und gut.« Gut beurteilen kann das auch ihr außenpolitischer Berater Christoph Heusgen. Merkel war nach dem denkbar knappen Wahlsieg im Herbst 2005 noch gar nicht offiziell im Amt, Heusgen zwar schon benannt, aber noch in seiner bisherigen Funktion in Brüssel: Da ließ der Karriere-Diplomat sich von Journalisten der ZEIT verführen, der künftigen Kanzlerin via Zeitungsartikel das Einmaleins der deutschen Außenpolitik zu erklären. Zumindest wirkte es so und spielte damit allen Kritikern in die Hand, die Merkel, einer Frau, die Kanzlerschaft per se nicht zutrauten. Von ihrer Reaktion, die prompt folgte, ist nie etwas Wörtliches bekannt geworden. Nur so viel: Heusgen war sich kurzzeitig ziemlich sicher, seinen Job schon vor Amtsantritt wieder los zu sein. Er redete während der ersten sechs Monate mit Journalisten so gut wie kein offenes Wort mehr. Heute ist er der am längsten dienende Abteilungsleiter und Chefberater im Kanzleramt.
Berater oder Beamte öffentlich zusammenzustauchen, käme Merkel jedenfalls nicht in den Sinn. Mehr als knappe, beißende Ironie muss niemand fürchten, wenn er vor Zeugen den Unmut der Kanzlerin auf sich zieht. Das kann passieren, wenn der Terminplan eines Tages zu eng gesteckt ist, sich trotz aller Hetze also chronische Verspätung durch den Tag hindurch aufbaut. Als sie im Mai 2012 in Camp David ein Pressestatement rechtzeitig für die heimischen Abendnachrichten abgeben will, aber unerbittlich-chaotische US-Sicherheitsleute die deutschen Journalisten nicht zu ihr vorlassen, sieht man sie hinter einer Glastür winken, gestikulieren, die Arme zum Himmel – und sich mächtig ärgern. Es war wie ein 15-Sekunden-Stummfilm, in dem sich eine Mächtige über ihre Ohnmacht aufregt. Und der (in diesem Moment) sehr bedauernswerte Regierungssprecher Steffen Seibert rannte schwitzend hin und her, um seiner Chefin schnellstmöglich eine angemessene Journalisten-Kulisse zu verschaffen. Was er sich dabei von ihr anhören muss, wird nie bekannt.
Tatsächlich kann ein Merkel-Mitarbeiter darauf zählen, dass sie bei klarem Verstand aus einer Beamten-Panne nie eine brutale, öffentliche Vorführung machen würde. Als Finanzminister Wolfgang Schäuble sich zu einer solchen Schau hinreißen lässt, seinen Pressesprecher vor einer Gruppe sich (leider) weidender Journalisten böse bloßstellt, da reagiert Merkel ehrlich betroffen. Bezeichnenderweise nicht nur aus Mitgefühl mit dem kujonierten Sprecher, der wenig später sein Amt niederlegt. Zugleich fragte sie sich, was in Schäuble vorgehen müsse, dass er es vor laufender Kamera so weit getrieben habe.
Wie eingangs gesagt, wird aber auch Angela Merkel ab und zu sehr unangenehm und laut. Nicht sehr oft, aber wenn, dann egal mit wem. Da kann es gegen Parteifreunde gehen, gegen Parteichefs, Mitarbeiter – oder den gerade amtierenden Vizekanzler. Der heißt am 19. Februar 2012 gegen 15.15 Uhr Philipp Rösler von der FDP . Die Auswahl eines neuen Bundespräsidenten hat sich an diesem Sonntagnachmittag gerade heillos verkantet. Der FDP -Chef ist plötzlich auf Joachim Gauck umgeschwenkt, den Favoriten von SPD und Grünen, und hat das sofort öffentlich gemacht. Die Kanzlerin steht jetzt allein da; über die Agenturen jagen die Eil-Meldungen. Da platzt ihr der Kragen. Sie schimpft laut auf Rösler ein: »Ihr riskiert den Bruch der Koalition. Wollt ihr das?« Minutenlang geht es hin und her, die Kanzlerin beruhigt sich nicht. Sie ärgert sich über die Renitenz einer Partei mit damals drei Prozent in den Umfragen, aber mindestens genauso sehr über ihre eigene Fehleinschätzung. Merkel hat auf zwei andere Kandidaten gesetzt und zugleich darauf, dass auch SPD und Grüne den unbequemen Freigeist Gauck in Wahrheit gar nicht wollen. Rösler schluckt unter der Schimpfkanonade, aber er bleibt hart. In einer FDP -Telefonschaltkonferenz wenig später sagt er: »Es hat gewaltig geraucht. Die Kanzlerin wurde sehr laut und glaubt, wir wollen die Koalition platzen lassen.« Tatsächlich hatte Merkel in ihrer Schaltkonferenz mit den CDU -Spitzen als Erstes gesagt: »Eines ist klar, Gauck
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