Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Ermessen hätte Stoiber gegen die rot-grüne Chaostruppe gewinnen müssen – und hätte es trotz eigener Unzulänglichkeiten auch, wenn ihm nicht die Oderflut, der Irak-Konflikt, die Möllemann’schen FDP -Eskapaden und einiges mehr den Sieg verhagelt hätten. Dass Stoiber Angela Merkel den Weg ins Kanzleramt nicht verbaute, war also zum großen Teil Zufall. Aber nach dessen Niederlage hat sie sehr entschlossen, sehr präzis im Timing ihre Macht um den Fraktionsvorsitz erweitert. Weil Edmund Stoiber ihren Argumenten folgte, wie er in seiner politischen Autobiographie detailliert beschreibt, blieb Merkels vielleicht stärkster innerparteilicher Konkurrent dabei auf der Strecke, eben Friedrich Merz.
Mit der Wahl Horst Köhlers zum Bundespräsidenten hat sie 2004 diese ihre Machtfülle als Partei- und Fraktionschefin allen gezeigt. So wie man im Mittelalter die aufgespießten Köpfe der feindlichen Heerführer auf der eigenen Stadtmauer zeigte: Seht her, ich habe die Macht, es zu tun. Zur Erniedrigung eines anderen oder zu dessen Erhöhung, wie bei Wolfgang Schäuble, der damals so gerne Bundespräsident werden wollte und dann Merkels wichtigster Minister wurde. Zu seinem 70. Geburtstag sagte sie Schäuble: »Ohne Sie sähe unser Land anders aus.« Der nahm es als badischer Preuße kühl hin, wirklich rühren konnten ihn nur die Worte der IWF -Chefin Christine Lagarde: »Wolfgang, my friend.«
In der großen Koalition blieben die Momente demonstrativer Macht-Darstellung naturgemäß rar und in der CDU waren sie nicht mehr nötig; die Partei ist und bleibt ein treuer Kanzler-Wahlverein.
Ihren jüngsten Moment unverstellter, fast fratzenhafter Macht hatte Angela Merkel im Mai 2012, als sie ihren ebenso glücklosen wie verstockten Umweltminister aus dem Amt warf. Nach einer völlig vergeigten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gab sie Norbert Röttgen kein Pardon: In einer Erklärung von 1 : 39 Minuten Länge berief sie sich ausdrücklich auf Artikel 64 Grundgesetz, das formelle Recht des Bundeskanzlers, dem Bundespräsidenten Minister zur Ernennung und zur Entlassung vorzuschlagen. Eine Enthauptung mit stumpfem Messer war das, die Demonstration nackter Macht – des nackten Machterhalts, also auch der eigenen Bedrängnis. Denn der gescheiterte Umweltminister infizierte Merkels Nimbus als über den Wassern schwebende Präsidialkanzlerin. Und er gefährdete Merkels Regierung, weil ihm nicht mehr zuzutrauen war, die festgefahrene Energiewende wieder flottzumachen, das zentrale innenpolitische Projekt der Kanzlerin. Andere schwache Minister hat Merkel im Amt belassen, Röttgen war zu wichtig, um seine Schwäche nicht ernst zu nehmen. Und sein Ego, vielleicht auch seine Illoyalität, waren zu groß, als dass es eine auf Machterhalt bedachte Kanzlerin akzeptieren mochte. »Ich bin nicht froh, wenn ich so etwas machen muss«, sagte sie wenig später zu Vertrauten, erkennbar noch unter dem Eindruck der Trennung von Röttgen. Und es war ihr wichtig zu betonen, dass sie mit ihm mehrfach unter vier Augen geredet habe, persönlich, nicht am Telefon. Das klingt aber nur nach Skrupel. Denn wenn es hart auf hart kommt, hat Angela Merkel keine.
Wer einmal im Kanzleramt angelangt ist, der denkt naturgemäß an Macht-Erhalt. Der denkt darüber nach, wie er in der Partei und an den Urnen Mehrheiten sichern kann, ohne zu unterlassen, was er für politisch richtig hält. Das nimmt einem nicht einmal der politische Gegner ernsthaft übel, weil er sich ja genauso verhalten würde. Denn: Man wird einem Politiker nicht vorwerfen wollen, dass er gern wiedergewählt werden will. Genauso gut könnte man einem Mittelstürmer vorwerfen, dass er Tore schießen möchte. Und man wird gerade Angela Merkel nicht unterstellen, sie hänge vornehmlich an Titel, Dienstwagen und anderem Gepränge ihres Amtes. Gegen solche Versuchungen scheint sie rundum immun. Deshalb gilt unter Hauptstadt-Journalisten übrigens ein klassischer »Skandal« mit finanzieller Grundierung als das eine Ding, das man bei Angela Merkel wohl nie erleben werde. Nein, sie will einfach regieren und machen und das Sagen haben. Dafür braucht sie die Macht und ist bereit, in den Ring zu steigen. »Man muss den Kampf auch mögen, sonst geht es nicht«, sagte Angela Merkel 2003 im Interview mit Autor Hugo Müller-Vogg. Aber Jahre später sagt sie häufig auch: »Es mittelt sich alles aus.« Die Macht und die Ohnmacht, die Siege und die Niederlagen, die Anfeindungen und der
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