Angela Merkel - Ein Irrtum
sich ein Besuch von Günter Grass Anfang der 80er-Jahre in Danzig eingegraben. Der sensible Dichter versuchte den jungen Liberalen klarzumachen, dass die Rolle der Sowjetunion in Polen auch nicht finsterer sei als die Rolle der USA in Nicaragua.
Wie vertraut das doch ist, der eingeübte Antiamerikanismus und die gedankenlose Bereitschaft zum relativierenden Vergleich! Vor allem aber erschütterte Tusk, dass der Dichter und Denker es fertigbrachte, die Solidarność mit den prokommunistischen Sandinisten zu vergleichen. Jahre später meinte sich Grass an einen Besuch bei einer Gruppe »radikaler Nationalisten« zu erinnern. Das nennt man politisches Fingerspitzengefühl.
Die Bereitschaft der Deutschen, Schuld anzunehmen, gern auch stellvertretend für andere, hat ihre Schattenseiten. Die Mitleidlosigkeit gegenüber den deutschen Vertriebenen erinnert an die Ignoranz gegenüber all denen, die von der Roten Armee nicht befreit wurden. Noch heute hört man die Meinung, es habe sich bei den deutschen Flüchtenden und Vertriebenen um Nazis gehandelt, denen irgendwie recht geschehen sei. Auch Kindern, Frauen, Greisen? In Kollektivschuld?
Die Klagelieder der Vertriebenen wurden spätestens in den 60er-Jahren in der Bundesrepublik übertönt von den Stimmen der Jüngeren, die davon nichts mehr hören wollten. Die Kälte, mit der sich meine Generation das Mitleid verbot mit den Erfrorenen, Vergewaltigten, Ermordeten, nur weil sie Deutsche waren, erschreckt mich. Wie weit ist eigentlich der Empathie fürs Menschenrecht und seine Verletzungen zu trauen, wenn man sich hierzulande anmaßt, zwischen richtigen und falschen Opfern zu unterscheiden? Und selbst wenn einige der Opfer auch Täter waren, dürfen sie deshalb ohne Recht und Gesetz, ohne Verfahren und Urteil mit dem Tod bestraft werden?
Aufgrund der Größe seiner Verbrechen habe Deutschland kein Recht, Rechtsbrüche anderer zu kritisieren? Nein. Kein Verbrechen rechtfertigt ein anderes Verbrechen. Die Vertreibung war und ist völkerrechtswidrig. Die Machtverhältnisse machten sie indes unausweichlich. Doch das eine hinzunehmen, heißt nicht, das andere zu akzeptieren. Mit Angela Merkel und Raymond Aron teile ich das Misstrauen gegen Menschen, die um ihre eigenen Toten nicht zu trauern vermögen.
Ist das ein Plädoyer für eine »Normalisierung«, soll Deutschland nun so tun, als ob es »auf Augenhöhe« wäre? Ja. Historische Schuld ist keine Münze für die Gegenwart. Insbesondere nicht in der schwierigen Lage, in der Europa sich befindet.
Was die Deutschen europapolitisch tun oder lassen, sollten sie aus politischer Einsicht tun – nicht aus Schuldgefühlen. Es wäre gar nicht gut, wenn sich bei den Deutschen das Gefühl breitmachte, man müsse den Zahlmeister spielen, weil die Regierung sich moralisch erpressen lässt.
Aber vielleicht ist das längst der Fall.
Irrtum 5: Die Klimakanzlerin
Wird Angela Merkel wenigstens das Klima retten? Die Eisbären und die Gletscher, die vom Untergang bedrohten Atolle im Indischen Ozean? Wird sie nicht, das ist nicht schwer vorherzusagen. Das kann man ihr allerdings schwerlich übel nehmen. Hier war der Irrtum von vornherein eingebaut.
Die Klimakanzlerin im roten Anorak: Gut sah sie aus, als sie im August 2007 bei Ilulissat landete, einer grönländischen Kleinstadt, über der sich der Sermeq Kujalleq erhebt, einer der aktivsten Gletscher der Erde. Ilulissat dürfte der einzige Ort mit knapp 5000 Einwohnern sein, der eine Direktflugverbindung nach Baltimore hat. Hier ist »global warming’s boom town«. Denn hier können die Folgen des Klimawandels besichtigt werden, an dem die Touristenmassen durch ihre schiere Anwesenheit teilhaben: Der Gletscher schmilzt.
»Wir müssen wichtige politische Prozesse sichtbar machen«, sagte die Kanzlerin, die nach Grönland gereist war, um die »Herausforderungen« zu studieren, »die auf der Menschheit ruhen«. Nur dann könne mit »Elan und Tatkraft« dagegen vorgegangen werden.
Gut, dass man die Menschheitsherausforderungen sehen
und sogar anfassen kann! Dass nur wirklich sei, was auch erfahrbar ist, ist gewiss eine merkwürdige Vorstellung für eine Wissenschaftlerin. Politisch aber ist das völlig korrekt, wir erkennen ihn wieder, den Story-Bias: kalbende Gletscher, ein einsamer Eisbär auf treibender Scholle, ein weinendes Kind – und jeder weiß, worum es geht.
Klimapolitik ist nicht nur nötig, sie ist auch gut für das politische Image. Es war ein genialer Coup der Grünen,
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