Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
dass er mich gerettet hat, oder war das nur ein glücklicher Zufall?
Was tut er hier? Das Bild von Obis Karawane, die sich den Weg zur City hinaufwindet, kommt mir in den Sinn. Der Laster ist voller Sprengstoff. Obi plant, Widerstandskämpfer zu rekrutieren, indem er sich gegen die Engel zur Wehr setzt und eine Riesenshow daraus macht.
Na toll. Echt super. Wenn die Zwillinge hier sind, dann bestimmt, um einen Ort für ihren Gegenangriff auszuspähen.
Wie viel Zeit bleibt mir noch, um Paige hier rauszuholen, bis sie alles hier ins Jenseits befördern?
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Nach einer kurzen Unterhaltung verlässt der Politiker das Separee der Krieger. Zu meiner großen Erleichterung läuft er quer durch den Klub, statt auf mich zuzukommen. Er scheint mich vollkommen vergessen zu haben, als er sich einen Weg durch die Menge bahnt und hier und da stehen bleibt, um Hallo zu sagen.
Alle beobachten ihn. Eine Weile redet niemand in dem Grüppchen neben mir, dann kommt die Unterhaltung zögerlich wieder in Gang, als wäre man unsicher, ob es okay ist, zu sprechen. Die Krieger am Tisch trinken schweigend und grimmig. Was auch immer ihnen der Politiker gesagt hat, es hat ihnen nicht gefallen.
Ich warte, bis die Unterhaltung wieder zur vollen Lautstärke anschwillt, und setze dann erneut dazu an, mich dem Albino zu nähern. Jetzt da ich weiß, dass der Widerstand hier ist, spüre ich ein neues Gefühl von Dringlichkeit in mir aufwallen, die Dinge ins Rollen zu bringen.
Trotzdem bleibe ich zögernd am Rand der Flut von Frauen stehen. Wenn ich die frauenfreie Zone um den Albino herum betrete, wird es schwer, nicht bemerkt zu werden.
Die Engel scheinen nicht so sehr an den Frauen interessiert als vielmehr daran, miteinander ins Gespräch zu kommen. Obwohl die Frauen sich sehr anstrengen, werden sie wie ein zum Anzug passendes modisches Accessoire behandelt.
Als sich der Albino abwendet, erhasche ich einen Blick auf das, was die Frauen von ihm fernhält. Es ist nicht nur die Tatsache, dass ihm jegliches Pigment fehlt, auch wenn ich sicher bin, dass sich einige daran stören. Aber diese Frauen lassen sich ja nicht mal von Männern abschrecken, denen Federn am Rücken wachsen, und wer weiß, wo sonst noch. Was sind da schon ein paar fehlende Pigmente? Doch seine Augen … Ein Blick auf die Glupscher, und ich verstehe, warum ihn die Menschen meiden.
Sie sind blutrot. So etwas habe ich noch nie gesehen. Seine Iris ist so breit, dass sie fast sein ganzes Auge einnimmt. Purpurrote, weiß durchsetzte Bälle, die wie Blitze über Blut zischen. Lange, elfenbeinfarbene Wimpern rahmen seine Augen ein, als wären sie nicht schon auffällig genug.
Ich kann nicht anders, als ihn anzustarren. Peinlich berührt schaue ich zur Seite und merke, dass ihm auch ein paar andere Menschen nervöse Blicke zuwerfen. Die übrigen Engel wirken, trotz ihrer schrecklichen Aggressivität, als seien sie direkt im Himmel erschaffen worden. Nur dieser hier sieht aus wie einem Albtraum meiner Mutter entstiegen.
Ich habe mehr als genug mit Leuten rumgehangen, die ziemlich ungewöhnlich aussehen. In der Behindertengemeinde war Paige überaus beliebt. Ihre Freundin Judith kam mit Stümpfen statt Armen zur Welt und mit winzigen, deformierten Händen. Alex zitterte beim Gehen und musste sein Gesicht zu einer schmerzvollen Grimasse verziehen, um zusammenhängende Worte hervorzubringen, wobei er oft peinlich viel gesabbert hat. Will litt an Querschnittslähmung und brauchte eine Pumpe, um atmen zu können.
Die Leute haben diese Kinder angestarrt und einen gro ßen Bogen um sie gemacht, so wie die Menschen es hier mit dem Albino tun. Wann immer jemand aus ihrer Gemeinde einen besonders schlimmen Zwischenfall hinter sich hatte, hat Paige sie alle bei uns zu Hause zu einer Motto-Party versammelt. Eine Piratenparty, eine Zombieparty oder eine Komm-so- wie-du-bist-Party, zu der ein Kind im Pyjama und mit Zahn bürste im Mund aufgetaucht ist.
Sie haben zusammen Witze gerissen, gekichert und instinktiv gewusst: Gemeinsam sind sie stark. Paige war ihr Cheerleader, ihre Beraterin und ihre beste Freundin, alles zusammen.
Der Albino braucht jemanden wie Paige in seinem Leben, so viel ist klar. Er zeigt die charakteristischen unterschwelligen Anzeichen von jemandem, der sich der Tatsache nur allzu bewusst ist, von allen angestarrt und lediglich nach seinem Aussehen beurteilt zu werden. Arme und Schultern bleiben nah am Körper, der Kopf ist schräg nach unten geneigt, und er blickt kaum
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