Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
auf. Er steht abseits der Gruppe an einer Stelle, wo das Licht gedimmt ist und wo es wahrscheinlicher ist, dass neugierige Blicke seine blutroten Augen für dunkelbraun halten.
Ich schätze, wenn es etwas gibt, das bei Engeln Vorurteile weckt, dann ein Engel, der aussieht, als müsste er von Höllenfeuer umgeben sein.
Trotz seiner Haltung und seiner subtilen Verwundbarkeit ist er unverkennbar ein Krieger. Alles an ihm ist imposant, von seinen breiten Schultern über seine außergewöhnliche Größe bis zu seinen wohldefinierten Muskeln und den riesigen Flügeln. Genau wie die Engel im Separee. Genau wie Raffe.
Jedes Mitglied der Gruppe sieht aus, als wäre es zum Kämpfen und Erobern geboren. Mit jeder selbstbewussten Geste, jedem befehlenden Satz und jedem Zentimeter Platz, den sie einnehmen, bestärken sie diesen Eindruck. Wenn mir nicht schon genauso unbehaglich zumute gewesen wäre, hätte ich nie gemerkt, dass sich der Albino unwohl fühlt.
Sobald ich die menschenfreie Zone um den Albino betrete, blickt er in meine Richtung. Ich schaue ihm direkt in die Augen, so wie ich es bei jedem anderen auch tun würde. Als ich über den Schreck hinweg bin, in ein Paar so fremdartige Augen zu sehen, bemerke ich verhaltene Neugier darin und dass er versucht, mich einzuschätzen. Ich taumle leicht, als ich breit lächelnd zu ihm aufblicke.
»Was für hübsche Wimpern du hast«, sage ich ein wenig lallend. Ich versuche, es nicht zu übertreiben.
Die elfenbeinfarbenen Wimpern blinzeln überrascht. Ich gehe näher zu ihm hin und stolpere gerade genug, um meinen Drink auf seinen tadellosen weißen Anzug zu verschütten.
»Oh mein Gott! Das tut mir so leid! Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade getan habe!« Ich greife nach einer Serviette und reibe ein bisschen an dem Fleck herum. »Hier, lass mich dir beim Saubermachen helfen.«
Ich bin froh, dass meine Hände nicht zittern. Es ist nicht so, dass ich mir der gefährlichen Schwingungen nicht bewusst wäre. Diese Engel haben mehr Menschen getötet als jeder Krieg der Geschichte. Und dennoch stehe ich hier und bespritze einen von ihnen mit meinem Drink. Nicht die originellste Anmache, aber etwas Besseres fällt mir spontan nicht ein.
»Ich bin mir sicher, das geht problemlos wieder raus.« Ich brabble genauso vor mich hin wie das beschwipste Mädchen, das ich darstellen will. Um das Separee herum ist es still geworden. Alle beobachten uns.
Das hatte ich nicht bedacht. Wenn der Albino sich schon nicht wohl dabei fühlt, verstohlen angestarrt zu werden, dann hasst er es wahrscheinlich, der Mittelpunkt eines so dämlichen Szenarios zu sein.
Er packt mein Handgelenk und hält es von seinem Anzug weg. Sein Griff ist fest, aber nicht so fest, dass es wehtut. Ohne Zweifel könnte er mir mit Leichtigkeit mein Handgelenk brechen, einfach so, aus Jux und Tollerei.
»Ich gehe und kümmere mich darum.« In seiner Stimme schwingt Ärger mit. Ärger ist okay. Damit kann ich umgehen. Ich beschließe, dass er eigentlich ganz in Ordnung ist, wenn man mal davon absieht, dass er Tod und Verderben über die Erde gebracht hat.
Er schwebt zur Toilette und ignoriert die Blicke der Engel und Menschen. Leise folge ich ihm. Ich ziehe in Erwägung, weiter die betrunkene Tussi zu spielen, doch dann entscheide ich mich dagegen – es sei denn, jemand sollte ihn davon abhalten, zur Toilette zu gehen.
Doch niemand hält ihn auf, nicht mal, um Hallo zu sagen. Schnell schaue ich mich nach Raffe um, doch ich sehe ihn nirgendwo. Ich hoffe doch sehr, er zählt nicht darauf, dass ich den Albino so lange aufhalte, bis er sich hierherbequemt.
Sobald sich der Albino in die Toilette gedrängt hat, tritt Raffe mit einem roten Hütchen und einem ausklappbaren »Vorübergehend-außer-Betrieb«-Schild aus einem Schatten. Er stellt Hütchen und Schild vor die Tür und schlüpft hinter dem Albino in die Toilette.
Ich bin mir nicht sicher, was ich jetzt tun soll. Hier draußen Schmiere stehen? Würde ich wahrscheinlich, wenn ich Raffe gänzlich vertrauen würde.
Stattdessen betrete ich die Männertoilette. Drei Typen schieben sich eilig an mir vorbei, während sie sich noch den Reißverschluss ihrer Hose zumachen. Es sind Menschen, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht hinterfragen, weshalb ein Engel sie aus dem Klo wirft.
Raffe steht neben der Tür und starrt den Albino an, der aus dem Spiegel über dem Waschbecken zurückstarrt. Der Albino wirkt vorsichtig und wachsam.
»Hallo, Josiah«, sagt
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