Angelglass (German Edition)
am Haus gewesen«, mischt sich Padraig ein. »Vielleicht hat er ja zufällig gehört, dass wir Pooty mit seinem Namen angesprochen haben. Er ist mit Sicherheit nur irgendein Irrer. Wo ist er denn jetzt eigentlich?«
»Wir haben ihn gehen lassen«, sagt John. »Haben ihm mit der Polizei gedroht, falls er noch einmal auftaucht. Ich schätze, er hat’s kapiert.«
»Na, immerhin gibt’s jetzt ein Mysterium weniger«, sagt Jenny, sichtlich zufrieden. »Glaubt ihr wirklich, dass er nicht wiederkommt? Dann könnte ich ja jetzt vielleicht mal in Ruhe baden.«
»Er kommt ganz bestimmt nicht zurück«, sagt John überzeugt. »Dafür haben wir gesorgt.«
Mittlerweile höre ich den anderen kaum noch richtig zu. Magischer Spiegel. Vor meinem geistigen Auge sehe ich, wie der Raum von blendendem kalten Licht erfüllt wird. Meine Finger versinken in hartem Stein, eine Kakofonie aus Musik verdichtet sich zu einer Warnung.
Nein, Uriel, es ist noch nicht an der Zeit.
Ich weiß zwar nicht, was das zu bedeuten hat, aber eins weiß ich gewiss: Die Zeit wird kommen.
Am nächsten Tag beginnt in Prag das Ölsymposium. Nach meiner Schicht im
Leopold Bloom
laufe ich hinunter zum Wenzelsplatz, wo jedes Café und jede Kneipe zum Bersten gefüllt ist und die Hotels am Rande ihrer Kapazität arbeiten. Die Polizei patrouilliert über den Platz; ein paar Demonstrantengruppen haben sich ebenfalls schon eingefunden. Ein Team von Reclaim the Streets fährt langsam auf Rädern vorbei, bläst in Trillerpfeifen und lässt Hupen ertönen. Eine Phalanx aus Greenpeace-Aktivisten verteilt Flugblätter. Gut gekleidete Männer und Frauen hasten mit gesenkten Köpfen zwischen Hotels und Restaurants umher und versuchen, so gut es geht, den Tumult zu ignorieren. An der barocken Steinfassade des
Excelsior-Hotels
kündet ein Transparent vom 31. Jahressymposium der Internationalen Ölindustrie. Was wird wohl in drei Tagen die Fassade des Hotels zieren? Das Transparent, das John und Cody uns skizziert haben? Tote Körper und Blut? Gar nichts? Es ist nicht leicht zu wissen, was man noch glauben soll und was nicht. Karla hat unserer Unterhaltung bisher keine Taten folgen lassen, und ich fürchte, dass uns die Zeit davonläuft. Wenn John tatsächlich plant, im
Excelsior
eine Bombe hochgehen zu lassen, dann wird es ein Blutbad und viele Tote geben. Ganz gewiss werden Unschuldige sterben. Irgendetwas muss getan werden. Plötzlich wird mir klar, dass ich auch ebenso gut einfach verschwinden könnte. Nichts verbindet mich mit diesen Menschen. Nur das brennende Bedürfnis zu erfahren, wie sich die Dinge entwickeln. Und diese seltsame Aufforderung des Eindringlings – wie hieß er doch gleich? Jakob? –, die ›Unschuldigen zu retten‹.
Missmutig laufe ich zurück nach Malá Strana und zum Haus. Niemand ist da, die nachmittägliche Dämmerung hat bereits eingesetzt. Ich hocke mich in den Garten und grüble vor mich hin. Padraig macht gemeinsame Sache mit Cody und John, dessen bin ich mir sicher. Petey oder Jenny. Wem soll ich mich anvertrauen? Während Jenny mir sehr viel Freundlichkeit erwiesen hat, ist mir Petey nach wie vor ein Rätsel. Aber was hat das in diesem Haus voller Lügen und Geheimnissen schon zu bedeuten?
Während ich weiter vor mich hin brüte, fällt mein Blick plötzlich auf einen Streifen Erde in den länglichen Schatten an der Rückwand des Gartens. Abgesehen von der dunklen Färbung der Erde sieht dieses Stückchen Garten auf den ersten Blick wie alles andere aus. Noch dazu ist es von einem verschrumpelten Geisblattstrauch halb verborgen. Ich stehe auf, drücke mich hinter den Busch, um die Erde zu untersuchen, und schabe mit der Spitze meines Stiefels darin herum. Die Erde sieht so aus, als wäre sie erst vor Kurzem gewendet worden. Stirnrunzelnd gehe ich in die Hocke und streiche mit der Hand über die feuchte Erde. Sie ist frisch umgegraben und dann wieder festgeklopft worden. Erst zögernd, doch dann immer schneller fange ich an zu graben. Ich weiß genau, was ich hier finden werde. Ich weiß, was unter der Erde liegt. »Er kommt ganz bestimmt nicht zurück«, höre ich John in meinem Kopf sagen. »Dafür haben wir gesorgt.«
Mit beiden Händen kratze ich jetzt völlig panisch im Dreck herum, bis ich plötzlich etwas Kaltes und Feuchtes spüre. Voller Entsetzen weiche ich vor meiner Entdeckung zurück. Ein Gesicht starrt mich aus der kühlen Erde flehentlich an, der Mund ist zu einer Grimasse des Schreckens erstarrt.
Kapitel 14
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