Angelglass (German Edition)
würde Krieg zwischen uns und Elisabeth bedeuten, Doktor Dee. Habt Ihr etwa dazu geraten?«
Dee verbeugt sich. »Ganz im Gegenteil, Exzellenz. Ich bin der festen Überzeugung, dass Imperien genauso gut durch Handel und Wirtschaft errichtet werden können wie durch pure Kriegsführung. Eine Zivilisation, die so groß wie Britannien oder gar das Habsburger Reich ist, kann ihre Grenzen dadurch erweitern, indem sie den ungehobelten Wilden beibringt, so zu leben wie sie selbst. Stellt Euch vor, Exzellenz, eine Welt, in der alle dieselbe Sprache sprechen, alle dieselbe Kleidung tragen und alle dieselben Güter zu einheitlichen Preisen erwerben. Das ist meine Vision, Exzellenz. Möge es Elisabeth oder mögt Ihr es sein, die diese zukünftige Verschmelzung der Menschen und Kulturen vorantreibt und eine einzige, weltumspannende Nation schmiedet.«
Rudolf denkt nach. »In der Tat eine große Vision, Doktor Dee. Glaubt Ihr, dass sie Realität wird?«
»Das glaube ich«, erwidert Dee. »Vielleicht nicht zu meinen Lebzeiten, doch ich bin überzeugt, dass sich eines Tages eine wunderbare Einheitlichkeit über die Erde verbreitet.«
»Und was geschieht mit denen, die dann anders sein wollen, Doktor Dee?«, frage ich.
Rudolf sieht mich überrascht an. »Du hast eine Meinung, Findling?«
»Was geschieht mit denen, die nicht tragen wollen, was gerade in London oder Prag Mode ist? Die nicht immer dieselben Spiele anschauen oder dieselben Speisen zu sich nehmen möchten? Was passiert mit denjenigen, denen die eigene Kultur wichtiger und wertvoller ist als die des Imperiums?«
Dee quittiert meinen Einwand mit einem Nicken. »Wie schon gesagt, Meister Poutnik, ein Imperium muss nicht unbedingt durch Kriegsführung errichtet werden. Doch unter gewissen Umständen ist es vielleicht der einzige Weg.«
»Warum fragen wir nicht, was die Engel über dieses Thema denken?«, schlägt Rudolf vor.
Dee gibt Kelley ein kleines Zeichen, der daraufhin die Augen schließt und sich in die Trance zu versetzen beginnt, die ihn angeblich mit den Engeln kommunizieren lässt. Nach ein paar Minuten stöhnt und zittert er.
»Kontakt«, flüstert Dee. Erwartungsvoll beugt sich Rudolf vor.
»Wer ist es, Edward?«, fragt Dee leise.
Kelleys Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse, seine Zähne knirschen. Ich muss zugeben, seine Vorstellung ist beeindruckend. Doch schon wie gestern bin ich überzeugt, dass es sich nur um einen Schwindel handelt.
»Uriel«, keucht Dee unter zusammengebissenen Zähnen hervor. »Es ist Uriel.«
»Der Erzengel«, sagt Rudolf. Seine Augen leuchten. »Stellt ihm eine Frage, Dee. Fragt ihn, wer über das größere Imperium verfügen wird, Rudolf oder Elisabeth.«
Kelley verzieht weiter das Gesicht und stöhnt. »Uriel sagt, dass ein Imperium, das tausend Jahre auf der Erde besteht, im himmlischen Reich Gottes nur einen Augenblick bedeutet.«
Rudolf ist mit dieser Aussage offensichtlich unzufrieden. »Die Engel können uns nicht viel über die Dinge verraten, die noch kommen werden, Exzellenz«, beeilt sich Dee hinzuzufügen.
»Aber Uriel hat noch etwas zu sagen«, fährt Kelley fort. »Er hat eine Botschaft für den Kaiser.«
»Für mich?«, fragt Rudolf hocherfreut. »Wie lautet die Botschaft?«
»Er sagt … er sagt … um Rudolfs Imperium zu stärken, müssen bestimmte Elemente entfernt werden.«
»Elemente? Was für Elemente?«
»Uriel sagt … die Juden, Exzellenz, die Mörder Christi. Er sagt, sie haben sich gegen Gott gewandt. Er sagt … dass sie bei ihren gottlosen Zeremonien schreckliche Gräueltaten begehen. Er sagt, sie verwenden das Blut christlicher Kinder, um damit ihren teuflischen Gottheiten zu huldigen.«
Rudolf ist fassungslos; Dee sieht skeptisch zu Kelley hinüber. »Das hat Uriel gesagt?«, fragt der Magier leise.
Kelley blickt ihn an. »Das Wort Uriels steht außer Zweifel.«
»Die Juden«, sagt Rudolf nachdenklich. »Fragt ihn … fragt ihn, was ich tun soll.«
Kelleys Gesicht hat sich mittlerweile entspannt. »Uriel ist verschwunden«, erwidert er.
Rudolf wirkt stark beunruhigt. »Das Blut christlicher Kinder? Was für eine abscheuliche Tat ist das? Ich muss mich mit meinem Kammerherrn beraten.«
Die Audienz ist beendet. Während Dee und Kelley den Zauberspiegel einpacken, höre ich, wie der irritierte Dee seinem Assistenten etwas zuflüstert. Kelley zuckt mit den Achseln. »Ich wiederhole nur, was die Engel sagen«, antwortet er.
Innerhalb einer Stunde haben sich die Worte Kelleys wie
Weitere Kostenlose Bücher