Angelglass (German Edition)
von einer kunstvoll verzierten Kirche beherrscht wird. »Die St.-Nikolaus-Kirche«, erklärt sie mir. »Dies ist der Malá-Strana-Platz. Wir gehen über die Karlsbrücke zum Altstädter Ring, und von dort aus hinauf ins Getto. In Ordnung?«
»Danke«, erwidere ich.
Auf der Karlsbrücke tummeln sich Massen von Menschen und Wagen, die von einer Seite zur anderen gelangen wollen. Von der Brückenbalustrade starren ausdruckslose Statuen auf das Menschengewirr herunter; der Fluss glitzert kalt, während er träge unter der Brücke dahinfließt. An den schlammigen Ufern der Moldau sind Frauen mit der Wäsche beschäftigt, Männer angeln und schmutzstarrende Kinder tollen umher. Als wir den Brückenturm von Malá Strana erreichen, spüre ich, wie Hannah beim Anblick einer Gruppe von Soldaten erstarrt, die neben ihren Lanzen faul und untätig an der Mauer lehnen. »Oh, nein. Landsknechte«, flüstert sie.
»Landsknechte?«
»Söldner. Seit Rudolf Kaiser wurde, ist Prag von ihnen überschwemmt. Sie sind ehrlos und kämpfen für jeden, der sie bezahlt. Redet nur mit ihnen, wenn wir angesprochen werden.«
Als wir uns nähern, streckt einer der Wächter – ein unrasierter Kerl mit riesigen Zahnlücken – seinen von Fetzen bedeckten Arm aus und will verhindern, dass wir uns am schmalen Eingang zur Brücke vorbeiquetschen. Ich spüre Hannahs Angst und blicke zu ihr, doch wie schon zuvor bei unserer Begegnung mit Lang im Schloss neigt sie den Kopf.
»Was hast du hier zu suchen?«, fragt er und stiert auf Hannahs Gestalt hinunter.
»Eine Angelegenheit des Schlosses«, erwidert sie murmelnd.
Der Wächter blickt zu seinen grinsenden Kameraden. Offenbar wollen sie sich auf unsere Kosten ein wenig lustig machen.
Der Söldner, der uns aufgehalten hat, macht eine spöttische Verbeugung vor Hannah. »Ich bedauere, gnädige Frau«, sagt er in schmeichelndem Tonfall. »Mir war nicht bewusst, dass ich einem Mitglied des Hochadels gegenüberstehe.«
Ein paar der Fußgänger auf der Brücke sind neugierig stehen geblieben, einige lachen lauthals, andere hasten vorbei, um nicht in etwas verwickelt zu werden. Meine Anspannung wächst, als der Soldat sich wieder aufrichtet und sein Gesicht Hannah genau vor die Nase hält. Mit einem übertriebenen Geräusch schnüffelt er an ihrem Haar.
»Und ich dachte schon, ich könnte eine Jüdin riechen.«
Als Hannah nicht reagiert, trete ich einen Schritt vor. Der Wächter scheint mich zum ersten Mal wahrzunehmen. Die anderen Soldaten werden plötzlich wachsam, und einer legt die Hand auf seine Lanze.
»Ha! Und wer ist das? Vielleicht ist es ja Rudolf selbst, der sich in Verkleidung unter sein Volk mischt. Stimmt das, Junge, oder bist du nur ein weiterer stinkender Jude?«
Obwohl mein Herz pocht, bin ich ganz ruhig. Ich blicke dem Wächter direkt in die Augen. »Bitte erlaubt uns, die Brücke zu überqueren«, sage ich so angemessen wie möglich.
Hannah zuckt neben mir zusammen. Der Wächter wirkt verblüfft angesichts meiner Worte. Seine fettige Hand streicht über den Griff der Lanze und legt sich auf seine lederne Kluft. Ohne genau zu wissen, was ich tue, strecke ich den linken Arm aus und packe den Wächter fest an der Gurgel. Seine Augen treten hervor. Wie ein Mann kommen seine drei Kameraden drohend auf mich zu, doch ich strecke nur meinen anderen Arm aus und halte ihnen meine Handfläche entgegen. Augenblicklich erstarren sie und können kaum mehr atmen. Hannah hebt den Kopf und blickt mich verwundert an.
Der Wächter ist unter dem Griff meiner Hand lila angelaufen. Ich sehe ihn wieder direkt an. »Wir werden jetzt die Brücke überqueren«, sage ich ganz ruhig. »Sieh mir in die Augen. Kannst du es erkennen?«
Als er meinen Blick erwidert wird sein Gesicht von Wut, Erstaunen und schließlich Angst überschattet. Ich spüre seinen Körper schlaff werden und lasse ihn los. Unter würgendem Husten sackt er zusammen. Die Zuschauermenge ist größer geworden und plötzlich in Schweigen erstarrt. Die anderen drei Landsknechte stehen unbeweglich und verwirrt da. Als der Soldat sich wieder erholt hat, spuckt er auf den Boden. »Geht. Überquert die Brücke. Geht einfach weiter«, sagt er.
Bevor er seine Meinung ändern kann, ergreife ich Hannahs Arm und führe sie über die von Statuen gesäumte Brücke. Wir laufen schweigend weiter, bis wir die Moldau überquert und die engen Gassen hinter dem Altstädter Ring erreicht haben. Die ganze Zeit sieht mich Hannah neugierig an. Nachdem ich sie
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