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Angelglass (German Edition)

Angelglass (German Edition)

Titel: Angelglass (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Barnett
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Karte umgekehrt, trifft das noch stärker zu als sonst. Entscheidungen müssen getroffen werden, und Ihr müsst entweder Eurem Verstand oder Eurem Herzen folgen. Handelt ehrenhaft, entscheidet richtig, und das Ungleichgewicht kann korrigiert werden.«
    Ripellino sammelt die Karten ein und legt sie zu dem Stapel.
    »Faszinierend«, sagt er verhalten. »Hat es Euch irgendwie weitergeholfen? Hat es eine Bedeutung für Euch?«
    »Ich bin mir nicht sicher, Meister Ripellino«, erwidere ich zögernd. »Eure Deutung ist sehr interessant. Doch wisst Ihr, ich habe keine Vergangenheit. Ich kann mich nur an die letzten paar Tage erinnern.«
    »Wir alle haben eine Vergangenheit, ob wir uns nun an sie erinnern oder nicht«, sagt der Seher. »Warum könnt Ihr Euch nicht an Eure erinnern, Sir? Was blendet Ihr aus? Oder ist es jemand anders, der Euch Eure Vergangenheit verbirgt? Erinnert Euch an die Karte, der umgekehrte Herrscher. Sie kann auch bedeuten, dass man den richtigen Blickwinkel auf eine bestimmte Situation verloren hat. Oder eine Aufweichung der Macht oder der eigenen Stellung. Wer hat Euch hinausgeworfen, Sir? Das ist es, was Ihr herausfinden müsst.«
    »Aber alles ist so unscharf …«
    Ripellino nimmt noch einmal den Kartenstapel zur Hand. »Dann also eine weitere Deutung, Sir. Keine zusätzlichen Kosten. Ein einfaches Frage-und-Antwort-Spiel. Ihr stellt die Frage; ich drehe eine Karte um und gebe Euch die Antwort.«
    Ripellino mischt die Karten und murmelt etwas in sich hinein. Dann blickt er auf. »Frage.«
    »Wieso bin ich hier?«
    Er dreht die erste Karte um. »Gerechtigkeit. Ein Konflikt zeichnet sich ab. Ihr werdet einen Ausgleich schaffen. Frage.«
    »Aber was hat mich hierhergebracht?«
    Die nächste Karte klatscht leise auf das Tischtuch. »Der Turm. Die alte Ordnung ist bedroht. Seid Ihr derjenige, der sie bedroht? Frage.«
    »Woher soll ich wissen, was ich tun soll, wenn die Zeit gekommen ist?«
    Eine weiter Karte wird aufgedeckt. »Der Eremit. Schaut in Euch selbst. Frage.«
    Ich sehe Ripellino prüfend an. An seiner Stirn kleben Schweißperlen, seine Nackenmuskeln sind angespannt. »Geht es Euch gut, Meister Ripellino?«
    »Ausgezeichnet«, faucht er durch zusammengebissene Zähne. »Frage!«
    »Wer ist mein Feind?«
    Die nächste Karte fällt auf den Tisch. »Der Magier. Der Scharlatan. Betrug.«
    Der Wahrsager scheint an irgendetwas zu leiden. Seine Augen sind aufgerissen. »Frage!«, beharrt er weiter.
    »Wie soll ich betrogen werden?«
    Ripellino lässt eine weitere Karte auf den Tisch fallen. »Die Liebenden. Das Unvermögen zu erkennen … die wahre Natur zu erkennen …«
    Ich bin besorgt um den Seher. Aus irgendeinem Grund scheint er sich in echten Schmerzen zu winden. »Meister Ripellino …«
    »Frage! Frage!«
    »Aber ich verstehe es nicht! Was wird die Folge all dessen sein?«
    Zwei Karten fallen aus dem Stapel. Ripellino wirkt entgeistert, aber sein Mund bewegt sich weiter, so als spräche er unabhängig von seinem Verstand. »Das Rad des Schicksals. Ein Anfang. Ein Ende. Träume. Die Welt. Vollendung. Geburt. Ende. Anfang. Zu … zu viele mögliche Folgen …«
    Als wären sie mit einem eigenen Willen ausgestattet, fliegen die restlichen Karten aus Ripellinos Hand und landen auf mir. Ich hebe die Arme, um mein Gesicht zu schützen; der Wahrsager stöhnt und lehnt sich erschöpft zurück auf seinen Stuhl.
    »Mein Herr«, stößt er atemlos hervor. »Ich … ich habe noch nie … mein Körper hat mir nicht mehr gehorcht … ich …«
    »Meister Ripellino«, erwidere ich ruhig. »Ihr habt noch zwei Karten.«
    Er blickt überrascht auf seine verschwitzte Hand, die die restlichen Karten hält.
    »Ich habe eine letzte Frage.«
    Er versucht, seine Atmung zu beruhigen, und sieht mich beinahe etwas ängstlich an. Ich habe diesen Ausdruck schon einmal gesehen, in den Augen des Söldners auf der Karlsbrücke. »Fragt«, gibt er zur Antwort.
    »Was muss ich tun?«
    Mit zitternden Händen legt er die erste Karte offen auf den Tisch. »Die Sonne«, sagt er atemlos. »Schutz. Unschuld.«
    Er blickt mich an. Er blickt mich an, weil er genau weiß, was die letzte Karte sein wird. Dann legt er sie mit einem lauten Seufzen auf den Tisch.
    »Tod. Veränderung. Bewegung. Neuer Anfang. Sir, ich weiß nicht, wer Ihr seid oder warum Ihr zu mir kommt, aber die Botschaft ist glasklar. Ihr seid gefangen in einer vielleicht endlosen Folge von Anfang und Ende und könnt doch weder das eine noch das andere ganz

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