Angelglass (German Edition)
drinnen und wird dich empfangen.«
Ich werde in ein kleines Vorzimmer am Eingang der schwach erleuchteten Synagoge geführt. In diesem kargen Raum erwartet mich Rabbi Löw. Trotz seines großen schwarzen Stoffhuts wirkt er klein und zerbrechlich, sein Bart ist mehr grau als schwarz, und sein Gesicht von jahrelangem Kummer zerfurcht. Seine Augen hingegen leuchten hell und betrachten mich mit kühler Intelligenz. »Meister Poutnik«, sagt er und neigt dabei seinen Kopf ein wenig. »Willkommen im Getto.«
Ich erinnere mich an Jakobs Empfehlungsschreiben, ziehe den Umschlag unter meinem Hemd hervor und reiche ihn dem Rabbi. Er blickt auf das eigenartige Siegel, reißt den Umschlag auf und liest aufmerksam.
»Soso, Meister Poutnik, Ihr kommt also auf Geheiß unseres lieben Kaisers Rudolf«, sagt er. »Wisst Ihr, warum er mich auf diese Weise zum Schloss zitiert?«
Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll und wie viel ich preisgeben darf. »Ich bin nur der Bote«, erwidere ich.
Rabbi Löw kommt auf mich zugehinkt und klopft mir auf die Schulter. »Guter Junge. Aber wie wir hören, ist Meister Poutnik weit mehr als das, hmm? Der Spiegel von Prag, nicht wahr? Ein vom Himmel gefallener Findling?« Löw kichert fröhlich in sich hinein. »Wie schön zu wissen, dass der Kaiser noch immer Zeit für seine kleinen Grillen hat.«
Löw tritt an das kleine Fenster des Vorzimmers, das den Blick auf das Elend draußen freigibt. »Doch nicht so schön, was hier im Getto vor sich geht, hmm? Nicht so schön. Unser lieber Kaiser und seine Höflinge haben ihre Vergnügungen, ihre fliegenden Teppiche und mechanischen Mäuse, doch was ist mit dem Getto? Was passiert mit Rabbi Löws Leuten?«
Mühsam wendet er seinen Kopf und winkt mir zu. »Hier im Getto gibt es keinen Bedarf an mechanischen Mäusen, nicht wahr, Meister Poutnik? Hier gibt es echte Mäuse, so groß wie Katzen!« Er kichert wieder.
Nachdem ich mit Hannah, die jetzt still beim Feuer sitzt, das Getto durchquert habe und es mit der Pracht des Schlosses vergleichen konnte, verspüre ich keine Eile, Rudolfs Wunsch entgegenzukommen und diesen Mann zum Hradschin zu bringen, wo er nach der Pfeife des Kaisers tanzen soll.
»Gleichwohl«, grübelt Rabbi Löw. »Es täte mir vielleicht gut, hier rauszukommen, hmm? Vielleicht könnt Ihr unserem lieben Kaiser sagen, dass ich kommen werde … wann war es genau, morgen bei Anbruch der Nacht?«
Ich drücke dem Rabbi meine Dankbarkeit aus. Mit schweren Schritten begleitet er uns zur Tür der Synagoge, um uns zu verabschieden. »Noch eine Sache, Meister Poutnik«, ruft er, als ich mit Hannah die schmutzige Gasse hinuntergehe.
Ich drehe mich um. »Ja, Rabbi?«
»Vergesst nicht, hier im Getto gibt es genügend unschuldige Seelen, die gerettet werden könnten, hmm?«, ruft er und winkt mir zu.
»Ich habe kein Wort gesagt!«, protestiert Hannah, bevor ich etwas äußern kann. Ich drehe mich um und sehe, wie der Rabbi die Tür zur Synagoge verschließt.
Hmm.
Intermezzo 2
Uriel hört zu und spricht. Er weiß, dass es verboten ist, weiß, dass ihm das Spiel in der Welt außerhalb der silbernen Stadt nicht erlaubt ist, und dennoch spielt er es. Die Risiken sind vielfältig, niemand hat je gewagt, was er tut, und dennoch wagt er das Spiel. Er weiß, die Vergeltung des Hauses könnte prompt und schrecklich ausfallen. Gleichwohl setzt er das Spiel fort.
Mit seinem Mund aus Licht gibt er Geheimnisse und Weisheiten preis, die er nicht verraten darf. Er spricht in der Sprache der Vögel und erfreut die zarten Geschöpfe aus Blut und Knochen. Und warum nicht?, denkt er. Das Wissen der silbernen Stadt ist unerschöpflich; vieles davon wird nie wieder verwendet. Es liegt eingestaubt in den Archiven und Bibliotheken und spricht nur mit sich selbst; Wunder in alphabetischer Reihenfolge verzeichnet, Mysterien hinter verschlossenen Türen bewahrt, Rätsel, die verloren gehen. Warum nicht das Spiel spielen?
Mit Fingern, die keine Finger sind, teilt er das Wasser, das keines ist. Licht durchschneidet Licht und erlaubt seiner Schönheit, sich im ungeschliffenen Zauberspiegel der aus Blut und Knochen Geschaffenen zu manifestieren. Wäre es ihm erlaubt, seine Essenz zu offenbaren, würde er Berge versetzen und Meere einfrieren. Doch er erlaubt ihnen einen Anteil, einen Seitenblick, ein Trugbild, um sie zu befriedigen.
Warum? Weil es ihn amüsiert. Es amüsiert ihn, die Regeln des Hauses zu brechen, es amüsiert ihn, das Spiel zu spielen, das er nicht
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