Angelglass (German Edition)
rede ich nicht oft mit Leuten«, sagt Finn und gibt ein ohrenbetäubendes Lachen von sich. »Ich glaube, die Menschen haben Angst vor mir!«
An der Tür zur Taverne gibt es plötzlich Aufregung, als ein Bote des Hofes hereinstürmt. Die Soldaten blicken alle gleichzeitig auf und sind angesichts der Unterbrechung sichtlich verstimmt.
»Alle nüchternen Männer sofort zur Karlsbrücke!«, japst der rotgesichtige Page. »Bringt Waffen!«
»Was, zum Teufel, ist denn los?«, fragt ein bärbeißiger Offizier und zieht seine Hakenbüchse aus dem Waffengestell an der Tür.
Der Bote kann seine Nachricht selbst kaum glauben. »Eine Seeschlange schwimmt die Moldau hinauf!«
Finn winkt mir zu. »Kommt! Das sollten wir uns ansehen.«
Während Finn einen Schritt macht, muss ich drei Schritte machen, um nicht hinter ihm zurückzubleiben. Nachdem wir die Taverne verlassen haben und mit den anderen Männern durch Malá Strana gelaufen sind, bin ich schnell außer Atem. Eine große Menschenmenge hat sich auf der Karlsbrücke eingefunden, teilt sich aber bereitwillig, als Finn mit mir im Schlepptau zum Brückengeländer vordringt. »Du lieber Gott«, stöhnt der Riese und lehnt sich zwischen zwei der Statuen, die die steinerne Brücke bewachen, über das Geländer. »Der Kerl hatte recht. Es
ist
eine Seeschlange.«
Ich starre durch das abendliche Halbdunkel auf den Fluss hinunter. Inmitten der träge dahinfließenden Moldau bietet sich uns ein unvergesslicher Anblick. Braun und schleimig schwimmt ein walartiges Objekt von ungefähr sechs Metern Länge im dunklen Wasser. Unter der Oberfläche kann ich auf beiden Seiten eine Reihe von Flossen erkennen, die das Biest mit langsamen Bewegungen vorantreibt. Nicht nur mir, sondern auch allen anderen wird plötzlich klar, dass es direkt auf die Karlsbrücke zuhält. Ein kollektiver Aufschrei ertönt, und die Zuschauer fliehen in Panik von der Brücke.
»Ich kann weder Kopf noch Schwanz erkennen«, murmelt Finn. »Für ein lebendiges Wesen bewegt es sich viel zu gleichmäßig.«
Das Objekt wird plötzlich langsamer und ändert schwerfällig die Richtung, bis seine Nase auf das Ufer der Malá-Strana-Seite zeigt. Ein weiterer Aufschrei ertönt, als die dort versammelten Schaulustigen auf die Straße zu fliehen versuchen und gegen Soldaten ankämpfen, die sie wieder ans Ufer zurückdrängen.
»Kommt«, sagt Finn. »Lasst uns näher herangehen.«
Gerade will ich den Sinn dieses Unterfangens hinterfragen, doch schon packt der Riese meinen Arm und zerrt mich durch die Menge, bis wir schließlich mit den anderen Soldaten auf einem kleinen Anlegesteg im Schatten der Karlsbrücke stehen. Das Seeungeheuer ist jetzt nur noch ein paar Meter entfernt. Seine Haut glänzt im schwachen Abendlicht, während es langsamer wird und schließlich anhält, so als warte es auf eine Reaktion unsererseits. Die Soldaten zücken ihre Lanzen und sehen sich erwartungsvoll nach einem Hauptmann um, der ihnen Befehle erteilt.
Wozu ist das Monster hierhergekommen? Sollen wir vielleicht von ihm gefressen werden?
Aber nein, nichts dergleichen. Begleitet von einem erschrockenen Aufstöhnen der Menge, öffnet sich eine Klappe im oberen Teil des Monsters.
»Es ist überhaupt kein Ungeheuer«, murmelt Finn. »Es ist ein Boot.«
»Unmöglich«, sagt ein Soldat neben ihm. »Ich habe noch nie gehört, dass ein Boot unter Wasser fahren kann.«
Doch Finn hat offenbar recht, denn – wie Jona, der aus dem Bauch des Wals gespuckt wird – erscheint in der Luke ein junger Mann, dessen wild abstehendes Haar unter einer steifen Matrosenmütze hervorlugt. Wie ein Mann treten alle Soldaten vor und schwingen ihre Lanzen, Musketen und Degen.
Der Mann kneift zweimal die Augen zusammen und betrachtet die jetzt ruhiger werdende Menge.
»Du meine Güte«, sagt er, während ein breites Lächeln hinter seinem zerzausten Bart erkennbar wird. »Was für ein Empfangskomitee. Das hätte ich nicht erwartet.«
Ein Offizier der Garde tritt vor und räuspert sich. »Wer seid Ihr und was ist das für eine Hexenkunst?«
Der Mann, dessen Wams und weite Hosen schlecht sitzen und mit Flecken übersät sind, verbeugt sich so tief, wie es seine Position in der Luke zulässt. »Mein Herr, ich bin Cornelius Drebbel, und dies ist keine Hexenkunst. Dies ist mein fantastisches Unterseeboot, mit dem ich von den Niederlanden hergefahren komme, um mich Kaiser Rudolf II ., dem Herrscher der mächtigen Habsburger Dynastie, vorzustellen.«
Drebbels Ankunft
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