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Angélique - Am Hof des Königs

Angélique - Am Hof des Königs

Titel: Angélique - Am Hof des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Golon
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hatte es ja schon immer gesagt. Eine Herumtreiberin war Angélique, und zwar seit ihrer frühesten Kindheit. Eine Intrigantin. Eine ehrgeizige Person, die nur auf das Vermögen ihres Mannes aus war. Und eine Heuchlerin dazu, die alle glauben machen wollte, dass sie ihn liebte, während sie es sich nicht nehmen ließ, ausschweifenden Lüstlingen in die übelsten Viertel von Paris zu folgen.

    Angélique achtete kaum auf sie. Mit gespitzten Ohren lauschte sie auf die Geräusche von der Straße. Ganz deutlich hörte sie das Klirren von Stahl, dann den Schrei eines Mannes, dem die Kehle durchgeschnitten wurde, gefolgt von rennenden Schritten.
    »Hör doch«, murmelte sie und packte Hortense nervös am Arm.
    »Was ist denn?«
    »Dieser Schrei! Da ist bestimmt jemand verletzt worden.«
    »Na und? Die Nacht gehört den Räubern und Raufbolden. Keine ehrbare Frau käme auf den Gedanken, nach Sonnenuntergang noch durch Paris zu spazieren. So etwas fällt auch nur meiner Schwester ein!«
    Sie hob die Kerze hoch und leuchtete Angélique ins Gesicht.
    »Wenn du dich sehen könntest! Pfui! Du siehst aus wie eine Kurtisane, die sich gerade irgendwo mit einem Kerl gewälzt hat.«
    Angélique riss ihr den Leuchter aus der Hand.
    »Und du siehst aus wie ein prüdes Weib, mit dem sich kein Mann wälzen wollte. Geh doch zurück zu deinem Prokurator, der im Bett nichts anderes tut, als zu schnarchen.«
     
    Angélique saß noch lange am Fenster. Sie konnte sich nicht dazu durchringen, sich hinzulegen und zu schlafen. Sie weinte nicht. Im Geiste durchlebte sie noch einmal die verschiedenen Erlebnisse dieses furchtbaren Tages. Ihr schien, als sei ein ganzes Jahrhundert vergangen, seit Barbe an diesem Morgen in ihr Zimmer gekommen war und gesagt hatte: »Ich bringe die Milch für den Kleinen, Madame.«
    Seitdem war Marguerite getötet worden, und sie selbst hatte Joffrey betrogen.
    Wenn es mir wenigstens nicht solche Lust bereitet hätte, dachte sie immer wieder.

    Die Gier ihres Körpers erfüllte sie mit Entsetzen. Solange Joffrey an ihrer Seite gewesen war und ihr alles geschenkt hatte, was sie sich nur wünschen konnte, hatte sie nicht gewusst, wie recht er hatte, wenn er häufig zu ihr sagte: »Ihr seid für die Liebe geschaffen!« Angesichts der Trivialität einiger Erlebnisse in ihrer Jugend hatten ihr Widerwille und ihre Schreckhaftigkeit sie glauben lassen, sie sei kalt. Joffrey hatte sie von diesen bösen Ketten befreit, aber gleichzeitig hatte er in ihr die Freude an der körperlichen Lust geweckt, zu der sie ihre gesunde ländliche Konstitution prädestinierte. Manchmal war er sogar ein wenig beunruhigt gewesen.
    Sie erinnerte sich an einen Sommernachmittag, als sie ausgestreckt auf dem Bett lag und sich unter seinen Liebkosungen räkelte. Plötzlich hatte er innegehalten.
    »Würdest du mich betrügen?«, hatte er unvermittelt gefragt.
    »Nein, niemals. Ich liebe nur dich.«
    »Wenn du mich jemals betrügen solltest, werde ich dich töten!«
    Dann soll er mich eben töten, dachte Angélique und richtete sich abrupt auf. Es wird gut sein, von seiner Hand zu sterben. Denn er ist der Mann, den ich liebe.
    Mit den Ellbogen auf der Fensterbank abgestützt, wiederholte sie, der nächtlichen Stadt zugewandt: Du bist der Mann, den ich liebe.
    Im Zimmer war das leise Atmen des Kindes zu hören. Angélique gelang es, eine Stunde zu schlafen, aber schon im ersten Morgengrauen war sie wieder auf den Beinen. Nachdem sie einen Schal um ihr Haar gebunden hatte, schlich sie auf leisen Sohlen die Treppe hinunter und verließ das Haus.
    Zusammen mit den Mägden und den Frauen der Handwerker und Kaufleute machte sie sich auf den Weg zu Notre-Dame, um die erste Messe zu hören.
    In den schmalen Straßen, in denen sich der von der Seine
aufsteigende Nebel unter den ersten Strahlen der Sonne golden färbte wie ein Feenschleier, hingen immer noch die Ausdünstungen der Nacht. Räuber, Gauner und Beutelschneider kehrten in ihre Schlupflöcher zurück, während Bettler, Sieche, Lahme und falsche Jakobspilger sich an den Straßenecken niederließen. Verklebte Augen beobachteten die züchtigen, braven Frauen auf ihrem Weg in die Kirche, wo sie zum Herrn beten würden, ehe sie mit ihrem Tagwerk begannen. Die Handwerker nahmen unterdessen die hölzernen Läden vor ihren bescheidenen Werkstätten fort.
    Und mit Puderbeutel und Kamm in der Hand rannten die Gehilfen der Friseure zu ihrer bürgerlichen Kundschaft, um die Perücke des ehrenwerten

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